Abenteuer Bücherschrank –  oder wie alles begann

Ein persönlicher Rückblick von Hans-Jürgen Greve,

Visionär für offene Bücherschränke, Designer von BOKX, Stadtplaner und Architekt, Vorstand der urbanlife e.G.

Heute in 2019 kennt ihn jeder. Vor 10 Jahren musste er erst einmal erfunden werden.  Der offene Bücherschrank

Vor 10 Jahren musste ich den Menschen das System noch erklären, wenn ich einen offenen Bücherschrank aufgestellt habe. Heute sagen sie nur: „Ach wie schön, bekommen wir auch endlich einen. Dann brauche ich nicht mehr so weit zu fahren.“

Das Buchtauschsystem im öffentlichen Raum hat sich in manchen Städten so sehr etabliert, dass es zum ganz normalen Alltagsbild dazu gehört. Wenn ich durch Frankfurt (F/M) laufe, begegne ich ständig einen der mittlerweile 65 Offenen Bücherschränke der Marke BOKX.

Gehen wir noch mal 10 Jahre zurück. Das, was heute so normal und selbstverständlich ist, brauchte damals erstmal eine starke Vision und viel Überzeugungskraft. Wir haben in den letzten Jahrzehnten viel Innovation und Veränderung erlebt, aber dass wir jetzt auch noch unsere Bücher auf die Straße stellen, war für viele Menschen dann doch zu viel. „Meine persönlichen Bücher, die immer auch ein Teil von mir sind, kann ich doch nicht einfach in irgendwelche Behälter auf öffentliche Plätze stellen,“ sagte mal jemand zu mir.

Mehr Fragen als Antworten: Würde das Prinzip überhaupt funktionieren? Wie müssten diese Behälter aussehen, damit die Bücher nicht nass werden, aber jeder an sie herankommt? Wie muss die Abdeckung sein? Wie ist es mit der Standfestigkeit, wie stabil muss das Möbel sein, wie wartungsarm, vandalismussicher, kindertauglich, bedienungsfreundlich, unfallsicher und genehmigungsfähig hat es zu sein.

Für mich als Architekt und Designer war es dann auch wichtig, dass das Möbel ästhetisch hochwertig und gestalterisch veränderbar sein musste. Damit es in unterschiedliche Platzsituationen eingefügt werden kann und wir unsere Städte damit gestalterisch wertig unterstützen können.

Die Qualität des Stadtmöbels musste aber noch eine ganz andere Anforderung erfüllen, die mir durch die Stadtplanungsarbeit schon länger bekannt war. Es gab in Deutschland seit geraumer Zeit das Bedürfnis der Städte auf öffentlichen Plätzen aufzuräumen, und entsprechend keine weiteren Stadtmöbel mehr zuzulassen. Die Stadt hat auf der einen Seite das Hoheitsrecht der Gestaltung, aber es gibt auf der anderen Seite viele Notwendigkeiten, wie Straßenschilder, Strom- oder Telekomschaltkästen.

Dazu kommt der große Druck aus der Wirtschaft mit Ihren Reklameschildern. Und in dieser Übersättigung kam jetzt auch noch die Idee der Bücherschränke. Die Reaktion, die ich zu spüren bekam war eindeutig und erforderte viel Überzeugungsarbeit mit einer gehörigen Portion Geduld, die mehrere Jahre lang dauerte. Ein Schwimmen gegen den Strom. In allen Städten, in denen ich einen Schrank aufstellte, wurde erstmal abgewartet, ob der Schrank überhaupt angenommen wird. In Köln und in München mussten wir den ersten Schrank jeweils auf privaten Grund stellen, weil die Städte grundsätzlich keine Genehmigung erteilen wollten.

Die größte Angst hatten wir alle vor Vandalismus. Es durfte jetzt nichts passieren. Die Schränke waren jetzt auf dem Prüfstand. Nachdem ein Jahr vergangen war, kamen sehr wohlwollende Berichte in der Presse zu dem neuen Tauschsystem.

Mir persönlich machte die Planungsamtsleiterin von Köln das größte Kompliment, indem sie auf einer IHK Veranstaltung in Köln zu mir sagte: „Chapeau Herr Greve. Gut sehen Ihre Möbel aus. Es hat mich gefreut, das zu sehen.“ Damit war das Eis zwar gebrochen, aber eine Genehmigung noch lange nicht erteilt. Das kam dann viele Monate später, nachdem das Rad der Genehmigung in Köln neu erfunden wurde. Es ist von allen großen Städten das aufwändigste und längste Verfahren. Das zehrt zwar ein wenig an unseren Nerven, ist aber grundsätzlich sehr wichtig für unsere Gemeinschaft. So ist das Projekt gut eingebettet in unser demokratisches Verständnis von der Gewaltenteilung. In Köln z.B. haben wir die Bürgerstiftung Köln (gemeinnützig) als Eigentümerin, für die Pflege stehen private Personen bereit, und die Stadt hat uns offiziell die Genehmigung erteilt. Die Schränke haben einen Standsicherheitsnachweis und sind mit dem Material und in Ihrer Bauart genehmigungswürdig. Somit habe ich eine wirklich verrückte Idee vom Experiment zu einem nachhaltigen Kulturprojekt entwickelt. Und dabei sogar noch sehr viel Spaßgehabt.