Der Wunschpunsch

Catweazle hörte nicht auf zu schimpfen: „Du weißbeiniger Wurm. Du krummhalsiger, verschimmelter, heuchlerischer, doppelzüngiger Widerwurz.“ Das hatten sie schon mal gehört. Noch bevor sie das weiterdenken konnten, hörten sie aus der Ferne einen Käuzchen-Ruf. „Oh nein“, sagte Mia entsetzt, „jetzt haben wir immer noch keine Antwort und müssen weg.“ „Ich glaube, die hätten wir hier sowieso nicht bekommen. Es tut uns sehr leid, dass wir Ihnen so viel Umstände gemacht haben. Leben Sie wohl, Herr Catweazle“, Wilhelm drehte sich mit diesen Worten um, lief los und Mia hinterher. Catweazle hatte die ganze Zeit nicht einmal Luft geholt. Sie sahen Karotte ankommen, der sich nicht sehr über die Tiraden wunderte. „Ich denke, der ist das gewohnt“, bemerkte Wilhelm, während sie hastig in den Wald liefen.

„Wie finden wir jetzt Leon? Wir haben keinen Treffpunkt ausgemacht.“ Mia wurde von allen möglichen Gefühlen überwältigt und fing ganz bitterlich an zu weinen. Ihr hatte die Schimpferei ganz schön zugesetzt. „Ich mag das nicht, wenn jemand so schimpft. Das macht man auch nicht. Ich vermisse Mama und Papa. Ich will nach Hause.“ schluchzte sie. Wilhelm nahm sie in den Arm. Er sagte ihr, dass sie recht hatte, dass man niemanden so beleidigen darf, egal was passiert. Während Mia noch leise an seiner Schulter schluchzte, sagte er mit möglichst fröhlicher Stimme, obwohl ihm selber anders zumute war: „So! Jetzt finden wir Leon und dann überlegen wir uns, wen wir noch nach dem Punkt fragen können. Wir lösen das Rätsel und null Komma nichts sind wir wieder zu Hause im Wohnzimmer bei einer leckeren Tasse Kakao.“ Mia zog noch einmal feste die Nase hoch. Die Taschentücher, wenn überhaupt noch welche da waren, waren im Rucksack und den hatte Leon.

Leon hatte sich auf einen Baumstamm gesetzt und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. Wie sollte er die beiden finden? Jetzt kam er sich nicht mehr so erwachsen vor. Er wünschte sich, dass ein Erwachsener bei ihm wäre. Was für eine dumme Idee, Schmiere zu stehen. Doch dann dachte er an Flinker Biber. Der ging schon alleine zum Fischfang, hatte keine Angst und fragte auch nicht nach einem Erwachsenen. Leon riss sich wieder zusammen. Was könnte er tun? „Ja genau“, sagte er laut zu sich.  „Ich bleibe jetzt genau hier sitzen und mache den Käuzchen Ruf, solange bis Mia und Wilhelm hierherkommen. Sie werden mich schon hören.“ Er stieß den ersten Ruf aus.

„Los Mia, wir gehen Leon suchen.“ Wilhelm stand auf und in dem Moment hörten sie ein Käuzchen. „Das ist Leon.“, jubelte Mia, „wie schlau mein Bruder ist.“ Alle ihre Lebensgeister waren wiedererwacht. Sie lauschten dem zweiten Ruf. Sie folgten ihm und ein dritter folgte. Leon wies ihnen den Weg. Wilhelm war mächtig stolz auf ihn. Schon der fünfte Ruf brachte sie zu Leon. Mia rannte los und warf sich in die Arme ihres Zwillingsbruders. Der war etwas peinlich berührt, aber auch sehr glücklich, dass die beiden ihn gefunden hatte.

„Wie geht es jetzt weiter?“, fragte er, während Mia ihm fast die Luft abdrückte. „Wir brauchen magischen Rat. Wir sollten uns einfach noch zu einem weiteren Zauberer wünschen, mit der Hoffnung, dass noch ein weiteres Buch mit Magie im offenen Bücherschrank steht. Leon holte die Schriftrolle aus dem Rucksack und sagte: “Vielleicht kann ich mir ja auch was wünschen und nicht nur Wilhelm. Ein Versuch ist es doch wert.“ Er rollte die Schriftrolle aus, Mia und Wilhelm ergriffen Leons Schultern und alle drei schlossen die Augen. Und dann sagte Leo: „Wir wünschen uns zu einem anderen Zauberer.“

Als sie die Augen wieder öffneten, saßen sie in einem Raum, der an allen Wänden bis zur Decke mit Büchern vollgestopft war. Der Raum wirkte düster, war sehr dreckig und müffelte. Das sah alles nicht vertrauenserweckend aus.

„Ich kann mir auch was wünschen.“, stellte Leon zufrieden fest und packte die Schriftrolle wieder in den Rucksack: „Wo sind wir hier? Das sieht mir aus wie eine Bücherei.“ „Ich würde eher sagen, dass es eine Bibliothek ist“ Wilhelm stand auf und ging zu einem der Bücherregale und schaute sich die Buchrücken an. Er las langsam vor:

„Abschaffung des Gewissens – Lehrgang für Fortgeschrittene

Leitfaden für die Brunnenvergiftung

Enzyklopädisches Lexikon der Flüche und Verwünschungen

Ich habe das Gefühl, dass wir bei einem Zauberer der dunklen Magie gelandet sind. Außer Lord Voldemort und seine Todesser aus Harry Potter kenne ich jedoch keinen bösen Zauberer.“

„Dann sollten wir hier schnell wieder verschwinden, oder?“ Mia schaute Wilhelm angstvoll an. Dunkler Zauber hörte sich für sie gar nicht gut an. „Komm lass uns doch schauen, ob uns nicht doch jemand helfen kann. Wir sollten keine Chance ungenutzt lassen. Hier gibt es zumindest einen Zauberer.“ Leon war ganz Feuer und Flamme. Wilhelm gab ihm recht. Er hatte auch keine andere Idee. „Wir schauen uns mal um. Hoffentlich begegnet uns niemand, bis wir wissen, was hier los ist.“

Sie gingen zu der Tür, die sich auf der einen Seite des Raumes inmitten der Bücher befand. Sie quietschte und sie verharrten für einen Moment, damit sie lauschen konnten, ob jemand kam. Alles war still. Sie betraten einen sehr finsteren Korridor. Auf beiden Seiten befanden sich Regale bis zur Decke, die mit gefühlten tausenden Einmachgläsern gefüllt waren. „Was ist da bloß drin?“, fragte Mia ängstlich. Wilhelm trat an eines der Regale. „Diese Gläser sind voll mit komischen, kleinen Wesen und Geschöpfen. Jedes Einmachglas hat ein Etikett.“, sagt er und las vor:“ Heinzelmännchen 3.6.1897 Kobold 24.9.1673 Zwerg 1.1.1986.“ Er ging zu den Kindern und bat sie, sich diese Einmachgläser nicht genauer anzuschauen. Er hatte gemerkt, dass die Geschöpfe in den Gläsern offene Augen mit einem starren Blick hatten. Sie waren nicht tot, sondern bestimmt verzaubert durch diesen Zauberer.

Sie gingen weiter durch den Korridor. Am Ende befand sich eine Tür, die sie vorsichtig öffneten. Sie traten in ein Zimmer, in dessen Mitte ein Ohrensessel stand. In einem Kamin loderte ein Feuer. Bücher lagen überall herum und in den dunklen Ecken befanden sich Gläser, Flaschen und diverse Röhrchen. Es dampfte, zischte, tropfte und überall stiegen Farbnebel auf. Es gab diverse verschiedene elektrische Geräte, die piepsten und summten. „Schaut mal, da steht ein Computer. Der sieht ja antik aus.“, sagte Leon. Auf einem Tisch in der Mitte köchelte etwas in einem Glas. „Da sind Urkunden über dem Kamin.“, flüsterte Leon, „Vielleicht finden wir heraus, wer der Zauberer ist.“ Wilhelm, wieder als Vorleser, ging zu dem Kamin und las vor:

„Beelzebub Irrwitzer, M.A.S.K Mitglied der Schwarzen Künste, Dr. h.c. Doctor horroris causa

Dr.Doz.a.I. Privatdozent für angewandte Infamie, M.d.B. Mitglied der Blocksbergnacht.“

Mia schrie mit einem Mal auf: „Ich weiß, in welchem Buch wir sind. Im Wunschpunsch. Dieser Wunschpunsch hat einen total verrückten Namen. Den kann man sich nicht merken. Ich habe versucht, ihn zu üben wie „Supercalifragilisticexpialigetisch, aber das Wort ist noch schwerer.“ „Und was passiert in dem Buch?“, fragte Leon ungeduldig. „Da muss ich erstmal überlegen. Irgendwie spielt das Buch ein paar Stunden vor Sylvester. Der Zauberer Beelzebub Irrwitzer muss noch etwas kaputtzaubern, damit er genug böse Taten für das Jahr erfüllte. Ich weiß noch, er ist zuständig für viele Umweltkatastrophen und das Aussterben von Tieren.“ Mia kratzte sich am Kopf. Sie fühlte sich gerade etwas überfordert, weil das schon eine Weile her war, dass sie das Buch gelesen hatte. „Da sind auch zwei Tiere. Ein Kater und ein Rabe. Der Zauberer ist nicht allein, denn es kommt noch eine Hexe vor im Buch. Ich weiß das alles nicht mehr so genau.“ Sie war total verzweifelt. Wilhelm nahm ihre Hand: „Es ist gut, dann müssen wir es eben herausfinden.“ Er dachte, dass es echt anstrengend war, schon wieder in einem Buch zu sein, das sie nicht kannten.

„Vermutlich ist das der Wunschpunsch, oder?“ Leon sah Mia an. „Das kommt auf die Uhrzeit an. Gibt es hier irgendwo eine Uhr?“ Sie sahen sich um. Auf dem Kaminsims stand eine. „Es ist 10 Uhr 38.“, sagte Wilhelm. Die Frage, ob es morgens oder abends war, klärte Mia indem sie einen Vorhang zur Seite schob: „Abends.“

„Dann wird hier doch etwas passieren, oder?“ fragte Leon.  „Ja genau“, Mia fiel es wieder ein, „Die beiden Zauberer werden irgendwann vor Mitternacht von dem Wunschpunsch trinken.“ „Sollen wir solange hier warten? Ich finde es gefährlich. Denn wir können uns hier nicht verstecken. Wir sollten erstmal das gruselige Haus auskundschaften, und dann können wir immer noch zurückkommen. Aber wir brauchen endlich des Rätsels Lösung.“, bemerkte Wilhelm. Gesagt, getan. Sie kamen wieder an den Einmachgläsern vorbei.

Nun konnte Mia es doch nicht lassen, sich mal die Gläser genauer anzugucken. Ein Schauern lief ihr über den Rücken. Dann sagte sie: „Schau mal, das sind Buchnörgelis, Klugscheißerchen und Korinthenkackerli.“ Ihr taten die Wesen sehr leid, aber über die Namen musste sie schmunzeln.

Sie kamen zu einem kleinen Erkerzimmer, auf dessen Tür stand:

Kammersänger Maurizio Di Mauro

„Das ist der Name des Katers.“, sagte Mia sofort, „Er ist ein bisschen dick und faul. Doch er wird uns nichts tun.“ Sie machte vorsichtig die Tür auf. Es war niemand zu sehen. Dies war der erste wohnliche Raum, den sie bisher gesehen hatten. Schnell schloss sie wieder die Tür und gingen weiter.

Sie liefen noch weitere dunkele Korridore mit Einmachgläsern entlang, als diese auf einmal anfingen zu wackeln. Die drei retteten sich gerade noch in einen Türrahmen, da brachen die Gestelle mit einem lauten Gepolter zusammen und die ganzen Wesen und Geschöpfe marschierten los. Mia, Wilhelm und Leon erstarrten, aber diese Wesen hatten überhaupt kein Interesse an ihnen. Sie wollten offensichtlich einfach nur weg. Es polterte überall im Haus. „Los wir sollten zurück zu dem Raum mit Wunschpunsch. Irgendetwas schein hier zu passieren.“ Wilhelm stürzte los und versuchte über die Gestelle zu klettern und dabei nicht auf die Wesen zu treten. Das sah nun eher aus wie ein akrobatischer Tanz. Mia und Leon folgten ihm. Die Wesen schienen sie nach wie vor zu ignorieren. Sie rannten alle nur wie irre nach draußen.

Im Labor angekommen, stellten sie fest, dass alles komplett durcheinander war. Alle Möbel waren kaputt und lagen auf verschiedenen Haufen. Sie sahen einen Kater und einen Raben. Aber wo sollten sie sich verstecken? Geistesgegenwärtig flüsterte Leon den beiden anderen zu: „Statue“ und stellte sich stocksteif hin. Mia und Wilhelm taten es ihm gleich. Vermutlich hätten sie sich einfach weiterbewegen können, denn die beiden Tiere waren so beschäftigt, dass sie nicht sahen, was am anderen Ende des Raumes passierte.

Die drei Bücherschrank-Abenteurer beobachten in ihrer Erstarrung, wie der Rabe aufgeregt mit einem Eisklötzchen im Schnabel auf dem Rand des Punschglases herumhüpfte. Der unglaublich dicke Kater japste: „Worauf wartest du? Wirf den Ton doch hinein!“ Der Rabe hüpfte weiter herum und aus seinem Schnabel kamen nur Laute. Der Kater sprang auf den Rand des Glases und sagte dabei: „Warte ich helfe dir.“ Er hielt sich an dem Raben fest, denn er hätte beinahe das Gleichgewicht verloren.

Mia, Leon und Wilhelm fiel es immer schwerer in ihren Positionen zu verharren, da hörten sie Stimmen vom Korridor her. Eine Frauenstimme sagte: „Nicht da? Was soll das heißen, sie sind nicht da? Halloho, Jaköbchen, mein Rabe, wo steckt ihr?“ Es folgte eine heisere tiefe Stimme, die sagte:“ Maurizio di Mauro, mein liebes Käterchen, komm doch mal her zu deinem guten Maestro.“

Die drei Statuen sahen, wie die beiden Tiere immer hektischer versuchten, den kleinen Eisklotz aus Jakobs Schnabel zu befreien. Plötzlich machte es plumps, der Eisklotz verschwand im Punsch und die beiden Tiere versteckten sich hinter einer kaputten Kommode. Mia, Leon und Wilhelm nutzten diesen Moment und kletterten hinter einen der Möbelberge. Da betraten der Zauberer und die Hexe das Labor.