Alles gut

Einen Augenblick später spürten sie den kalten Wind in ihren Gesichtern und öffneten die Augen. Sie standen auf der Straße vor dem magischen Bücherschrank. Zwischen dem Bücherschrank und ihnen standen Mama und Papa, die die drei noch nicht bemerkt hatten. Wilhelm gab Mia schnell die Schriftrolle und sie ließ sie in ihrem Rucksack verschwinden. Da bemerkte sie, dass dieser nur noch ein paar leere Plastiktüten, die Taschenlampe und ein paar ziemlich ergraute Taschentücher enthielt. Alles andere war verschwunden. „Kein Mary-Poppins-Rucksack mehr.“, flüsterte sie traurig.

Papa hatte ein Buch in der Hand und war gerade im Begriff die Tür der BOKX zu öffnen. Wilhelm hatte den Eindruck, dass Papa das Buch dringend loswerden wollte. „Hallo Sebastian, alles klar?“. Papa sprang mindestens einen halben Meter in die Luft und drehte sich um. Als er Wilhelm und die Kinder sah, fing er an zu schimpfen. Noch nie hatten Mia und Leon ihren Vater so schimpfen hören. „Wo wart ihr? Wir haben uns Sorgen gemacht und euch überall gesucht. Mama versuchte, ihn zu beruhigen. Sie war einfach nur froh, dass die drei lebendig und gesund vor ihnen stand. Nachdem Papa noch eine Zeit vor sich her geschimpft hatte, beruhigte er sich tatsächlich.

„Wir waren nur beim Bäcker und haben einen Kakao getrunken.“, erklärte Wilhelm. Mia schaute ihn entsetzt an. Er zwinkerte ihr zu und dann verstand sie. „Aber da sind wir doch vorbeigekommen und haben euch nicht gesehen.“, erwiderte Sebastion sofort. „Papa, wo sollen wir denn sonst gewesen sein?“, wollte Mia wissen. Leon schaute Mia wiederum ungläubig an. Mama lachte und erzählte, dass Papa geglaubt hatte, dass sie tatsächlich im Schrank gewesen seien. „Wie kommt ihr denn da drauf? Ihr habt mir doch selbst gesagt, dass das überhaupt nicht möglich sei. Ich solle Mia nicht auch noch in ihren Geschichten unterstützen.“, erboste sich Wilhelm. „Genau, das denke ich immer noch, Wilhelm. Aber als ihr vorhin plötzlich verschwunden wart, und wir euch nirgends finden konnten, haben wir in den Bücherschrank geschaut. Ihr werdet nicht glauben, was wir erlebt haben.“ „Papa, was habt ihr den erlebt?“, fragte Leon mit seiner schönsten Unschuldsmiene, die er zustande bringen konnte. Da fing Papa an zu erzählen, dass sie im Schrank ein Buch gefunden hätten. Es sah aus wie eines seiner Karl May Bücher. Zu seinem und Mama großen Erstaunen hätte sein Name daringestanden. Während er erzählte zeigte er auf das Buch in seiner Hand. „Da steht dein Name drin?“, wollte Mia wissen. „Ja! Darauf hin habe ich das Buch durchgeblättert bis zum fünften Kapitel. Ich habe bloß zum Spass einfach mal gelesen.“

„Das tut man in der Regel mit Büchern.“, Leon lachte verschmitzt. „Leon, dass musst du gerade sagen.“ Papa regte sich über diesen Kommentar auf. Mama erzählte weiter „An der Stelle, wo Papa angefangen hatte zu lesen, stand: „Dann ritt ich gemeinsam mit meinen neuen Freunden Mia, Leon und und Wilhelm nach dem Rio Pecos zu dem Pueblo der Apachen.“ Mia musste sich sehr darum zu bemühen, nicht laut loszulachen. Den beiden anderen ging es nicht viel besser. „Sebastian, dass musst du ihr eingebildet haben. Wie hätten wir denn in das Buch kommen sollen und Karl May kannte uns bestimmt nicht. Gib mir doch mal bitte das Buch.“ Wilhelm suchte die genannte Stelle und fing an zu lesen. „Sebastian, da steht nichts von Mia, Leon und mir. Das musst du geträumt haben.“ Papa nahm das Buch und schaute selbst nach. Jetzt verstand er überhaupt nichts mehr. „Was hat das alles zu bedeuten?“ „Sebastian, wenn ich das richtig sehe, gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder du hast dir das alles eingebildet, oder Du fängst an, Mia und mir zu glauben.“ „Ihr könnt ja versuchen, Papa und mich zu überzeugen. Ich bin offen für alles!“ „Susanne, wie kannst du nur! Wir waren uns doch einig, dass wir Mia nicht auch noch in ihren Geschichten bestärken wollten.“ „Okay, und was ist, wenn ich euch von unseren Abenteuern im Bücherschrank erzähle?“, fragte Leon.

„Nein, nicht du auch noch!“, stöhnte Papa. „Vielleicht willst Du ja wissen, wie dein Buch in den Schrank gekommen ist.“, fing Leon an, „Ich habe es mitgenommen, weil ich unbedingt Winnetou und Old Shatterhand kennen lernen wollte. Aber es ist nicht mit uns klein geworden. Es ist groß geblieben und stand auf einmal im Schrank. Die Schr..“, Leon erhielt von Mia ein Knuff in die Seite.

Schnell sprach er weiter: „Wir haben auch Old Shatterhand getroffen. Er wollte wissen, ob wir Sesessionisten seien. Papa, was sind Sessesionisten?“ Etwas irritiert über diese Frage überlegte Papa einen Augenblick, bevor er Leon antwortete „Die Sessesionisten waren Südstaatler im amerikanischen Bürgerkrieg, die die Sklaverei nicht abschaffen wollten.“ „Jetzt verstehe ich, warum Old Shatterhand so böse war als er uns fragte.“

Während Papa die Frage von Leon beantwortete, dachte Mia über etwas nach. „Mama, warum seid ihr jeden Tag wieder zum Bücherschrank gekommen?“ „Wovon redest Du, Mia?“ „Ich rede davon, dass wir doch ganz viele Tage unterwegs waren und wir haben euch ganz oft vor dem Schrank stehen sehen.“ „Mia, ich kann dir immer noch nicht richtig folgen, aber ihr seid erst vor einer viertel Stunde verschwunden. Papa und ich haben dann 10 Minuten überall nach euch gesucht. Und die letzten 5 Minuten standen wir halt vor dem Schrank.“ Sollten sie all ihre Abenteuer wirklich nur in 15 Minuten erlebt haben. Mia tat sich schwer damit, dass zu glauben. Doch jetzt kam ihr noch eine andere Idee „Wilhelm, glaubst Du, dass es sein könnte, dass der Sturm durch Papas blättern im Buch entstanden ist?“ „Keine schlechter Gedanke. Doch das könnte hinkommen. Dann hätte ich auch eine mögliche Erklärung für den Knall.“ „Was für einen Knall?“, fragte Mama neugierig. „Als wir mit Old Shatterhand durch die Prärie geritten sind, hat es auf einmal sehr laut geknallt.“, fing Leon an, aber Wilhelm unterbrach ihn „Ich denke, dass der Knall genau in dem Augenblick zu hören war als euer Papa das Buch zugeschlagen hat!“

„Sag mal, spinnt ihr jetzt total. Jetzt soll ich an einem Sturm und einem Knall verantwortlich sein.“ Papas Verzweiflung nahm langsam komische Züge an, und die anderen bemühten sich nicht zu lachen. Mia hatte immer mehr das Gefühl, dass Mama anfing an die Magie des Bücherschrankes zu glauben. Ja, sie war sich sicher, doch sie konnte nicht sagen warum.

Mama wandte sich an sie alle und schlug vor nach Hause zu gehen, und dort bei Kakao und Keksen über alles zu reden. Sie wollte unbedingt hören, was ihre Kinder erlebt hatten. So machten sie sich auf den Weg nach Hause. Am Ende lief Papa mit seinem Karl May unter dem Arm und dachte intensiv über Magie nach.

Liebe Leserin, lieber Leser

Wir freuen uns sehr, dass Sie oder Du die neuen Abenteuer von Mia, Leon und Wilhelm bis hierhin verfolgt haben. Uns hat es dieses Jahr wieder sehr viel Spaß gemacht, die Geschichte zu schreiben.

Ina Schura: Es hat mich einfach fasziniert, wie die Geschichten während des Schreibens entstanden sind. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir es schaffen würden, dass unsere Leser die Originalbücher lesen würden oder einfach Lust auf´s Lesen bekommen. Bücher sind für mich ein großer, wertvoller Schatz, den man einfach nicht unterschätzen sollte. Während des Schreibens musste ich immer wieder an eine Sendung meiner Kindheit denken: „Lemmi und die Schmöcker“ Diese Sendung lief oft am Heilig Abend und es wurde immer ein Buch vorgestellt. Nur das die Charaktere ihre Bücher verließen und ihre Geschichte erzählten.

Andrea Koikai: Ich habe wieder mit großem Spaß die Geschichte geschrieben. Ich bin jedes Jahr überrascht, wie sich die Geschichte entwickelt, denn das wissen wir vorher nicht. Ich wusste zum Beispiel nicht, dass Leon Tanzender Waschbär wird, bis ich es geschrieben habe. Ich habe durch Mia, Leon Wilhelm noch mal einen ganz anderen Zugang zu den Büchern gefunden. Bevor ich vor drei Jahren angefangen habe, diese Geschichte zu entwickeln, habe ich noch nie fiktiv geschrieben.

Vielleicht habt ihr Lust, auch mal ein Abenteuer von Mia und Wilhelm zu entwickeln. Was könnten sie in Ihrem oder Euren Lieblingsbuch erleben? Aus diesen Geschichten wird es nächstes Jahr wieder einen Adventskalender erscheinen. Schaut ab nächste Woche auf unsere Website, da werden dann alle Details stehen.

Wir wünschen Ihnen und Euch frohe Weihnachten und einen guten Rutsch in das neue Jahr 2021.

Andrea Koikai und Ina Schura

und das gesamte Team der urbanlife e.G.