Mia & Wilhelm und die magische BOKX

Kapitel 21: Hinauf, hinaus und hinein

Mia räusperte sich leise. „Es tut mir leid, Herr Wonka.“, sagte sie dann und bemühte sich, seinem stechenden Blick standzuhalten. „Ich kann ihre Fabrik nicht leiten. Ich bekomme nämlich immer Bauchschmerzen, wenn ich zu viele Süßigkeiten esse.“, sagte sie bedauernd. Willy Wonka sah sie an und in diesem Moment war es unmöglich, seinen Gesichtsausdruck zu deuten. Er kniff die Augen zusammen, wobei sich seine Augenbrauen runzelten.

„Aber ich habe eine Idee!“, sprach Mia weiter. Eine von Willy Wonkas Augenbrauen hob sich. „Am besten machen sie ein Gewinnspiel!“, sagte Mia und lächelte ihn schüchtern an.  Jetzt hob sich auch die zweite Augenbraue und aus einem skeptischen Gesichtsausdruck, wurde ein überraschter. „Ein was?“, fragte er verblüfft.

„Ein Gewinnspiel!“, sagte Mia triumphierend, „Sie verlosen fünf Goldene Eintrittskarten, mit denen Kinder Ihre wunderschöne Fabrik besuchen dürfen. Und das Kind, das Sie am liebsten mögen, wird Ihr Nachfolger.“. Mit ihren großen, blauen Kulleraugen sah sie ihn erwartungsvoll an.  „Hmm…“, machte Willy Wonka. „Und wie soll das gehen?“, fragte er nach einer Weile. „Ganz einfach!“, sagte Mia und erklärte ihm, dass er die fünf Goldenen Eintrittskarten einfach in fünf seiner Schokoladentafeln verstecken solle. Die glücklichen Finder würde er dann zu sich einladen und im Laufe des Tages herausfinden, wer der Auserwählte sein solle. Willy Wonkas Gesicht war wie versteinert, während er ihr zuhörte.

Dann klatschte er plötzlich in die Hände und begann, über das ganze Gesicht zu strahlen.„Das ist eine ganz, ganz wunderbare Idee!“, rief er und tanzte aufgeregt durch den Raum. Die Pfefferminzhalme knackten unter seinen Füßen.

„Meine Umpa-Lumpas werden mir bei der Auswahl helfen!“, rief er, „Ich fange sofort an, eine Zeitungsanzeige zu formulieren!“. Er lachte und tanzte und jetzt hob er Mia sogar hoch und wirbelte sie durch die Luft. Sie jauchzte vergnügt und auch Wilhelm und alle Umpa-Lumpas stimmten in das laute Gelächter mit ein. Lachend und keuchend hielten sie sich ihre Bäuche, bis sie langsam wieder Luft bekamen.

Herzlich drückte Herr Wonka Mia an sich. „Ich bin immer noch ein bisschen traurig, dass du die Fabrik nicht übernimmst. Du bist nämlich ein ganz großartiges kleines Mädchen!“, sagte er. „Aber deine Idee ist wirklich gut, das wird ein Heidenspaß! Und ich kann mir meinen Nachfolger ganz genau aussuchen.“, sagte er und strahlte sie an, „Und wenn du so schnell Bauchweh bekommst, dann wäre eine Schokoladenfabrik auch gar nicht das richtige für dich. Denn hier muss man wirklich jeden Tag Unmengen an süßem Zeug verdrücken!“

Er kicherte und sein Zylinder rutschte ihm ins Gesicht, so dass er nicht sah, dass dann doch noch ein leiser Anflug von Bedauern über Mias Antlitz huschte.
Eigentlich klang es doch gar nicht so übel, den ganzen Tag Schokolade zu futtern und das mit den Bauchschmerzen war eher eine kleine Notlüge gewesen.

„Ihr könnt so viele Süßigkeiten essen, wie ihr nur wollt!“, rief Herr Wonka vergnügt und gleich war Mias Bedauern wie weggepustet. Sie steckte sich alles in den Mund, was ihre kleinen Finger erreichen konnten. Wilhelm tat es ihr nach und scheinbar konnte auch Herr Wonka die Finger nicht von all den Köstlichkeiten lassen und so schmatzten und mampften sie, bis keiner von ihnen mehr einen Bissen hinunterbrachte. Wilhelm unterdrückte einen Rülpser und alle hielten sich zufrieden die prall gefüllten Bäuche. Mia merkte, dass sie schläfrig wurde.

„Willi?“, fragte sie und kicherte leise, als beide Männer ihr die Köpfe zudrehten.  „Wie kommen wir denn jetzt zurück in den Bücherschrank? Es ist doch bestimmt bald Weihnachten.“, man hörte an ihrer Stimme, dass sie müde war. Sie dachte an Zuhause.  „Jetzt habe ich eine tolle Idee!“ – Herr Wonka hatte so unvermittelt losgeplärrt, dass Mia plötzlich wieder hellwach war. Jetzt sah sie ihn aufmerksam an.

„Ich bringe euch zurück zu diesem Bücherschrank!“, rief er und seine helle Stimme überschlug sich vor Freude. Wilhelm, der insgeheim bezweifelte, dass Herr Wonka den Weg zum Bücherschrank kannte, legte den Kopf leicht schief und sah ihn fragend an.

„Kommt mit!“, rief Willy Wonka, vollführte eine rasante Drehung und marschierte flink in Richtung einer großen Tür, die er dann aufhielt, damit auch Wilhelm und Mia hindurchschlüpfen konnten. Als er die Tür dann langsam ins Schloss fallen ließ, konnten sie noch hören, dass die Umpa-Lumpas zu einem weiteren Lied ansetzten.

Herr Wonka führte Mia und Wilhelm durch einen großen Korridor, der aussah, als würde er nie ein Ende nehmen. Die Wände waren zartrosa gestrichen und überall gab es Türen mit Aufschriften wie „Essbare Kopfkissen aus Zuckerwatte“, „Heißes Eis für kalte Tage“ oder „Limonade für Schwimmbecken“.

Hätte Mia schon lesen können, hätte sie bestimmt in jeden Raum hineinschauen wollen. Aber die drei folgten dem endlosen Korridor, bis sie schließlich vor einer großen Doppeltür stehen blieben, die sich sogleich wie von selbst öffnete. „Hereinspaziert!“, sagte Herr Wonka strahlend und wies mit seinem Spazierstock auf die Türöffnung, wo sich ein großer, gläserner Fahrstuhl befand. Die drei gingen hinein.

Im Inneren des Aufzugs sah es ganz anders aus, als Mia und Wilhelm es von normalen Aufzügen gewohnt waren. Es gab nicht nur ein paar Knöpfe, neben denen ein Stockwerk angegeben war – der ganze Fahrstuhl, alle vier Wände waren mit Knöpfen übersät. Sogar an der Decke gab es welche. Daneben waren kleine Schilder angebracht, auf denen Wilhelm Dinge las wie „Kandiszucker-Bergwerk“ oder „Unsichtbare Schokolade“. Nur ein Stockwerk war nirgendwo angegeben.

Willy Wonka erklärte seinen Gästen, dass es sich bei seinem Fahrstuhl um keinen ganz gewöhnlichen Aufzug handele und dass er nicht nur herauf und herunter, sondern auch seit- und sogar schrägwärts fahren konnte. Dann riet er ihnen, sich besser gut festzuhalten, streckte sich und hob seinen Spazierstock zur Decke des Fahrstuhls, wo sich ein Schild mit der Aufschrift „Hinauf und Hinaus“ befand. Gleich daneben war ein Knopf, den Herr Wonka jetzt drückte. Die gläserne Doppeltür schloss sich und was dann passierte, damit hatten unsere beiden Abenteuer im Traum nicht gerechnet.

Mit rasendem Tempo begann der Aufzug, kerzengerade in die Höhe zu schießen. Die Umgebung zog so schnell an ihnen vorüber, dass Wilhelm schlecht wurde. Plötzlich gab es einen wahnsinnigen Lärm, man hörte splitterndes Holz, zerschellende Dachziegel, lautes Klirren und Krachen. Im gleichen Moment drang gleißendes Sonnenlicht in den gläsernen Aufzug. Mia und Wilhelm, die von der Schwerkraft zu Boden gedrückt wurden, während der Aufzug immer höher stieg, bekamen es mit der Angst zu tun. Mia kreischte. Herr Wonka aber lachte nur laut.

„Das war das Fabrikdach, das wir gerade durchstoßen haben!“, kicherte er.
Mia und Wilhelm sahen ihn entgeistert an. „Keine Sorge, der Fahrstuhl ist aus sehr dickem Glas! Und das Dach lasse ich reparieren!“, fügte Herr Wonka hinzu und quietschte vergnügt.

Der Aufzug schoss immer weiter in die Luft, dann begann er sich plötzlich seitwärts zu bewegen. Er flog so rasend schnell, dass sie nicht zu erkennen vermochten, wo sie sich befanden, aber der Aufzug schien den Weg von ganz allein zu wissen. Manchmal wechselte er so ruckartig den Kurs, dass Mia und Wilhelm wild darin herumpurzelten. Einmal schlugen sie mit den Köpfen gegeneinander. Dann blieb der Aufzug plötzlich stehen – und zwar mitten in der Luft.

Mia und Wilhelm rangen nach Atem, während sie durch den Glasboden auf die Welt hinunterstarrten, die so weit unter ihnen lag, dass alles wie Spielzeug aussah. Jetzt aber begann der Fahrstuhl, langsam Richtung Boden zu sinken. Die winzigen schneebedeckten Puppenhäuser wurden immer größer und aus klitzekleinen Ameisen wurden Menschen.
Plötzlich kreischte Mia und wedelte aufgeregt mit den Armen, dann zeigte sie auf zwei Türme, die man in der Ferne erkennen konnte. „Der Kölner Dom!“, rief sie.  Und tatsächlich, sie waren in Köln angekommen. Der Bücherschrank war ganz in der Nähe!

Willy Wonka drückte ein paar Knöpfe, dann schoss der Aufzug schräg nach oben. Schon war der Kölner Dom nicht mehr zu sehen. Dann geschah etwas Merkwürdiges.

Als der Fahrstuhl plötzlich wieder nach unten schoss – Mia und Wilhelm waren ordentlich durcheinandergewirbelt worden – wurde er auf einmal winzig klein. Immer und immer kleiner wurde er und mit ihm seine Insassen, bis sie alle nur noch so groß wie Wichtelmännchen waren. Dann hielt der Aufzug abrupt an.
Die Doppeltür öffnete sich und führte jetzt genau in den Bücherschrank hinein. Mia und Wilhelm bedankten sich bei Herrn Wonka, der sich wiederum bei ihnen bedankte. Dann stiegen sie mit wackligen Knien aus dem Fahrstuhl aus.

Sie winkten Herrn Wonka hinterher, der mit seinem Aufzug wieder in den Himmel hinauffuhr. Dabei war er immer größer geworden, bis er und der Fahrstuhl wieder ihre normale Größe erreicht hatten. Dann war er in den Wolken verschwunden.

Geschrieben und illustriert von
Hannah-Katharina Stalder

Klicke hier, um Ihren eigenen Text einzufügen