Wie geht es weiter?

Keiner der drei traute sich, die Augen aufzumachen. Sie hatten überhaupt nichts gespürt. Waren sie jetzt noch in Wilhelms Hütte oder doch wieder im Bücherschrank? Da hörten sie auf einmal von Ferne eine krächzende Stimme brüllen: „Krummbeiniger Mistkäfer.“ Alle drei öffneten gleichzeitig ihre Augen und schauten sich verstört an. „Weißbeiniger Wurm, krummhalsiger, verschimmelter, heuchlerischer doppelzüngiger Widerwurz.“, ging die Tirade weiter. Mia fragte leise: „Hallo?“, aber niemand antwortete und dann wurde es auf einmal ganz still. Die drei schauten sich an und um. „Wer war das?“, fragte Leon. „Kann ich dir nicht sagen. Aber kein sehr angenehmer Zeitgenosse.“, kam es von Wilhelm.

Mit Erleichterung stellte er fest: „Wir sind zurück in der BOKX und ich zumindest kann mich auch wieder erinnern. Ihr auch?“ Die beiden bejahten. Leon fügte hinzu, dass er sehr traurig sei, dass er Flinker Biber verlassen musste. Er hätte noch nie einen so guten Freund gehabt. Auch Mia und Wilhelm fühlten sich traurig. Wilhelm hatte es sehr genossen, sich jeden Tag mit den Ältesten des Dorfes zu treffen. Sie hatten ihm so viele Geschichten erzählt und er war nie alleine gewesen. Mia ihrerseits war sehr glücklich bei Großer Bärin gewesen, von der sie so viel gelernt hatte. Leise sagte sie: „Hoffentlich vergessen wir das alles nicht, wenn wir den Schrank wieder verlassen haben. Ich würde die Erinnerungen so gerne behalten.“ „Vielleicht sollte ich mich in der echten Welt auch mal mit anderen treffen.“, fand Wilhelm. Mia strahlte ihn an: „Das ist eine super Idee.“

Leon sagte feierlich: „Ich, Tanzender Waschbär, werde mir einen Freund suchen, der Flinker Biber ebenbürtig ist.“ „Gut, dann wäre das ja schon mal geklärt.“, bemerkte Mia, „Wirklich schade finde ich, dass wir das Lacrosse Spiel verpasst haben. Das wird bestimmt ein großes Spektakel gewesen sein.“ Zustimmend fuhr Leon fort: „Ja, das ist echt schade. Könnt ihr euch vorstellen, dass man 100 Tore erzielen muss, um zu gewinnen.  Das ist der komplette Wahnsinn! Wenn wir wieder zu Hause sind, werde ich das mal alles recherchieren. Ich möchte überhaupt ganz viel über das echte Leben der Indianer wissen. Wir haben ja nur eine Geschichte erlebt. Wer weiß schon, was davon stimmt.“ „Mensch, Leon. Die Idee ist super!“, rief Mia „lass uns doch gemeinsam in die Bücherei gehen.“

Mit einem Mal kam ein schwerer Windstoß, der sie fast umriss. Sie konnten sich gerade noch aneinander festhalten und hörten ihre Mama sagen: „Sebastian, bitte gib mir mal das Buch. Ich möchte es mir unbedingt anschauen.“ Die Tür vom Bücherschrank ging langsam wieder zu. Es dauerte einen Moment bis Mia anfing zu sprechen: „Papa und Mama sind immer noch vor dem Schrank. Haben sie die Nächte hier verbracht? Das geht ja nicht, dann wären sie erfroren. Sind sie jeden Tag wiedergekommen? Wir waren doch tagelang im Pueblo.“ „Das ist wirklich komisch.“, stimmte Wilhelm ihr zu. „Sie dürfen uns nicht entdecken. Lasst uns mal lieber weiter nach hinten gehen in die „neutrale Zone“. Er drehte sich um und bewegte sich Richtung „Schrankinneres“. Ohne Widerspruch folgten ihm Mia und Leon. Als sie sicher sein konnte, dass man sie von außen nicht mehr sieht, sagte Wilhelm: „Die alles entscheidende Frage lautet jetzt, wie geht es weiter.“

Leon schaute sich nach allen Seiten um: „Irgendwo muss doch meine Playstation sein, die ich mir vom Sams gewünscht habe.“ „Du bist lustig, wir haben ein ernstes Problem und du denkst nur an deine Playstation. Geht’s noch? Und wenn, wie sollten wir sie denn finden? Wir wissen nicht, in welchem Bereich des Bücherschrankes wir gelandet sind, und ob sie überhaupt noch da ist. Außerdem funktionierte sie doch sowieso nicht.“ Mia schaute Leon entgeistert an. „Darf ich dich daran erinnern, dass Tanzender Waschbär sich einen Freund suchen wollte!“  „Das eine hat doch mit dem anderen nichts zu tun,“, warf Leon ein, „ich kann doch einen Freund haben und Playstation spielen.“ Er lief wieder weiter vor und fing an sich umzuschauen mit der Hoffnung die Playstation zu finden.

Plötzlich blieb er stehen und hielt seinen Zeigefinger vor den Mund. Mia und Wilhelm kamen leise näher. Dann hörten sie es auch: “Komm, Kühlwalda. Salmay, Dalmay, Adonay.” Wieder wurde es still. „Kühlwalda, Kühlwalda, das sagt mir was“, Wilhelm rieb sich nachdenklich das Kinn. „Woher kommt der Name Kühlwalda? Ist das vielleicht ein Zeichen. Kinder, ich muss mich irgendwie mal hinsetzen, damit ich einen klaren Gedanken fassen kann. Mia, kannst du nicht noch eine Decke aus deiner Mary Poppins Tasche zaubern. Etwas zu essen und zu trinken wäre auch ganz schön?“ Mia nahm den Rucksack von ihrem Rücken. „Ich wünsche mir eine Decke und etwas Leckeres zu essen.“

Anschließend öffnete sie ihren Rucksack, der vor sich hin ruckelte, und holte eine Decke heraus. Danach folgten noch ein warmer Topf, drei Suppenteller und drei Löffel. Es duftete herrlich nach Gulaschsuppe. „Hoffentlich riechen Mama und Papa das nicht, dann wären sie ganz schön verwundert.“ Schnell nahmen sich alle drei einen Teller und während sie die Suppe löffelten, sagte Mia: „Wollen wir uns nicht aus dem Schrank herauswünschen? Ich fand die Zeit bei den Apachen sehr toll. Doch der Preis des Vergessens war doch zu hoch. Wir hatten mehr Glück als Verstand, dass wir aus der Geschichte wieder herausgekommen sind. Wenn ich darüber nachdenke, bekomme ich jetzt noch Angst. Das möchte ich nicht noch mal erleben.“ Wilhelm schaute sie erleichtert an. Er hatte genau die gleichen Überlegungen gehabt, aber wollte nicht als Spielverderber dastehen. Es war gut, dass eines der Kinder diesen Wunsch geäußert hatte.

Mia holte die Schriftrolle aus dem Rucksack und gab sie Wilhelm. „Ich glaube die Schriftrolle ist deine Aufgabe.“ Wilhelm nahm sie in seine linke Hand. Mit der rechten Hand griff er nach der Hand von Leon. Mia setzte ihren Rucksack wieder auf und nahm Leons andere Hand. Als sie soweit waren, sprach Wilhelm: „Ich wünsche mir, dass wir wieder vor dem Bücherschrank stehen.“ Und…nichts passierte. Die drei saßen händehaltend immer noch an derselben Stelle. Vor ihnen standen immer noch der Topf und die Teller. „Warum ist nichts passiert?“, fragte Leon mit einem kleinen Anflug von Panik. „Keine Ahnung. Ich war mir so sicher, dass wir mit der Schriftrolle wieder nach draußen kommen.“, erwiderte Wilhelm. Ratlos schauten sie sich an. Wilhelm entrollte die Schriftrolle. Dort stand ein neuer Text, den Wilhelm laut vorlas:

„Aber seid ihr zu dritt und wollt heraus

Reicht das Wunsch hier nicht aus.

Dem Punkt müsst ihr Aufmerksamkeit schenken.

Das wird alles auf die richtige Weise lenken.“

„Welcher Punkt soll das denn sein?“, fragte Leon ungeduldig. Mia schüttelte den Kopf: „Keine Ahnung. Wo sollen wir hingehen? Wen könnten wir fragen?“ Wilhelm schwieg nachdenklich. Er war gerade total frustriert, weil ihm einfach nicht einfallen wollte, wo er schon mal „Kühlwalda“ gehört hatte. Mit einem Mal löste sich die Blockade. Er richtete sich auf, erhob seinen Zeigefinger und sprach: „Kühlwalda ist die Kröte von Catweazle. Durch ihn sind wir doch diesmal in den Schrank gekommen. Er könnte doch auch unser Schlüssel sein, dass wir wieder rauskommen? Vielleicht weiß er etwas über den Punkt? Wo kam die Stimme vorhin her? Los wir suchen ihn.“ Wilhelm stand auf und lief los. Die Kinder stürmten hinterher. Sie ließen einfach die Decke, den Topf und das Besteck da, wo sie waren.

„Da ist sie ja.“, Leon blieb abrupt stehen, bückte sich und griff nach der Playstation. „Mia, kannst du sie bitte in den Rucksack tun? Ich trag ihn dann auch.“ Das lies Mia sich nicht zweimal sagen. Sie gab Leon den Rucksack und er packte die Playstation ein. Mia lachte lauf auf: „Tanzender Waschbär mit pinkfarbenen Mary-Poppins-Rucksack.“ Aber das war Leon vollkommen egal, denn es sah ihn ja keiner.

„Los kommt weiter! Wir müssen Catweazle finden.“, drängelte Wilhelm. „Warum wünschen wir uns nicht einfach zu ihm?“, fragte Leon. „Das ist eine gute Idee, aber woher wollen wir wissen, dass wir im Buch die Antwort finden? Im Moment scheint er ja im Schrank zu sein.“ erwiderte Wilhelm. „Ich habe eine Idee,“, sagte Mia, „wie wäre es, wenn wir uns zu jemanden wünschen würden, der uns helfen kann. Dann kann die Schriftrolle uns dahin zaubern, wo wir Hilfe bekommen.“ Das klang irgendwie logisch. „Los Wilhelm, mach du das so.“, Leon schaute Wilhelm fest in die Augen. „Also gut! Wieder fassten sie sich an die Hände und Wilhelm sprach klar und deutlich: „Ich wünsche, dass wir zu jemanden kommen, der unser Problem lösen kann“.