Ein Name für Leon

Flinker Biber schüttelte Leons so durch, dass ihm ganz schwindelig wurde. „Wir müssen heute deinen Namen finden und Blutsbrüderschaft schließen.“, rief er laut. Leon drehte sich um, gähnte laut und setzte er sich aufrecht hin. Er war sofort hellwach. „Ich muss zuerst zu Wilhelm.“, sagte Leon. Hoffentlich konnte Wilhelm ihm mit den einheimischen Tieren von Amerika helfen. Vielleicht wusste er auch den Namen des Tieres mit der großen Mähne.

Große Bärin gab ihm Kleidung und Schuhe von Flinker Biber. Sie hatte die Sachen der Kinder gewaschen. Er sah seine Sneakers auf dem Boden stehen und wunderte sich über diese komischen Schuhe. Sneakers, sagte Flinker Biber und Leon schaute ihn verwirrt an. „Bevor ihr losgeht, wird noch gefrühstückt.“ Große Bärin packte zwei Teller voll mit Kartoffeln und Bohnen. „Jungs müssen viel essen, damit sie starke Krieger werden.“

Hastig aßen beide ihr Frühstück und ehe Große Bärin sich versah, rannten die beiden aus der Hütte. Große Bärin ging zur Pritsche und weckte Mia. „Magst du nicht mit den Jungs mitgehen?“ Mia schaute Große Bärin verschlafen an: „Ich möchte bei dir bleiben und lernen, wie man eine große, starke Kriegerin wird.“ Sie war immer noch beeindruckt von Großer Bärin. „Na, dann mal aufgestanden. Wer eine starke Kriegerin werden will, muss früh aufstehen.“ Mia hüpfte von der Pritsche. Auch für sie hatte Große Bärin Kleidung und Schuhe bereitgelegt. Mia zog sich an und als sie an sich herunterschaute, fühlte sie sich wie eine richtige Indianerin. „Hier ist dein Frühstück.“, sagte Große Bärin. „Iss und geh dann erst mal mit den Jungs mit. Flinker Biber bringt euch bei wie man Spuren liest. Das ist wichtig für eine Kriegerin.“ Nachdem Mia mit ihrem Frühstück fertig war, rannte sie den Jungs hinterher.

Wilhelm wachte in seiner Hütte auf und fand vor seiner Pritsche schöne lederne Mokassins und neue Kleidung vor. Wer war in seine Hütte gekommen? Definitiv hatte er das verschlafen. Seine Kleidung war weg. Er würde sie schon wiederbekommen. Kaum hatte er die Hose und das Hemd angezogen, da stürmten auch schon die beiden Jungs in die Hütte. „Wilhelm“, rief Leon ganz aufgeregt, „Flinker Biber will mir einen indianischen Namen geben. Welches Tier könnte das sein? Was würde zu mir passen? Und willst du nicht auch einen indianischen Namen?“ Wilhelm setzte sich erstmal auf seine Pritsche. Er war sich sicher, dass er keinen anderen Namen wollte, und irgendwie hatte er das Gefühl, dass es wichtig sei, dass er seinen Namen behielt. Er wollte aber Leon nicht den Spaß verderben. „Also gut, dann überlegen wir mal,“, seine Stimme klang nachdenklich. Welche Tiere hätten wir den. Spinne, Fliege, Moskito, Käfer, Schm…“ „Ich will doch kein Insekt sein.“, unterbrach in Leon unwirsch. „Aha, was was gibt es denn noch? Los Flinker Biber, hilf uns mal.“ Flinker Biber fing an aufzuzählen: „Es gibt Bisons, Pferde, Otter, Hasen, Füchse, Waschbären.“ „Ja, das ist es.“, unterbrach Leon, „ich mag Waschbären.“ „So sei es“, sprach Flinker Biber feierlich.  „Deine Eigenschaft musst du dir noch verdienen. Also komm Waschbär ohne Eigenschaft. Das machen wir jetzt.“ Leon verabschiedete sich hastig von Wilhelm und rannte hinter Flinker Biber her. Er wollte endlich die Blutsbruderschaft. Er war so aufgeregt und glücklich, dass sie hier angekommen waren.

Leon hätte beim Rausrennen beinahe Mia umgerannt. „Wo geht ihr hin?“, rief sie ihm hinterher. „Weiß ich nicht!“, kam es aus der Ferne zurück. Sie überlegte, dass sie Spurenlesen auch noch später lernen konnte. Sie wollte sich jetzt erstmal mit Wilhelm unterhalten. Obwohl sie Große Bärin sehr gerne mochte und auch eine große und starke Kriegerin werden wollte, hatte sie die ganze Zeit ein ungutes Gefühl, aber sie konnte sich nicht erklären, was das war. „Hallo Wilhelm“, sagte sie beim Reingehen, „obwohl wir gestern erst hier angekommen sind, kommt es mir vor als ob, wir schon immer hier gewesen sein. Wir haben gesagt, dass wir aus Gettysburg kommen. Aber wo waren wir davor? Das ist alles so komisch und ich fühle mich unwohl dabei. Wir haben Old Shatterhand gesagt, dass wir hierher wollten, aber warum?“

Ich denke da auch schon die ganze Zeit drüber nach, aber ich komme auch nicht darauf. Gestern  dachte ich, es sei die Müdigkeit gewesen, aber ich finde heute immer noch keine Antwort.“ Wilhelm legte seine Stirn in Falten. „Nur habe ich die ganze Zeit das Gefühl, dass wir uns erinnern müssen.“ „Du hast recht, aber zuerst brauchst Du ein Frühstück, Wilhelm. Wir gehen jetzt gemeinsam zur Großen Bärin. Sie hat einen leckeren Eintopf zum Frühstück gemacht. Mit vollem Magen kann man besser denken.“

Die beiden traten vor die Hütte und schlängelten sich durch die engen Gassen zu der Hütte von Großer Bärin. In dem Moment als Mia und Wilhelm die Hütte erreichten, trat Große Bärin hinaus. Sie trug ein prächtiges Gewand und es steckten zwei Adlerfedern in ihrem Haar. „Ich muss zum großen Rat. Bitte nimm dir vom Frühstück, Wilhelm. Sei unser Gast.“, und schon war sie weg. Wilhelm setzte sich auf Mias Pritsche und Mia brachte ihm eine Schüssel mit dem Eintopf. „Du kannst auch gerne diesen Tee probieren. Ich fand ihn sehr bitter.“ „Ja gerne!“, sagte er, obwohl ihm  ein Kaffee lieber gewesen wäre. „Also nun lass uns alles nochmal genau überdenken. Was machen wir hier? Wo sind wir hergekommen?“ Wilhelm sah Mia hoffnungsvoll an. Auch sie zermarterte sich das Gehirn und fand keine Antwort. „Lass uns mal durch das Dorf gehen, vielleicht erinnern wir uns dann wieder. Die beiden liefen los und wurden von jedem, dem sie begegneten auf das Herzlichste begrüßt.

So dauerte es ziemlich lange bis sie am unteren Ende vom Dorf angekommen waren. „Hier haben wir und Old Shatterhand gestern Weisen Adler getroffen“, bemerkte Mia. „Er könnte uns vielleicht helfen.“ In dem Moment sahen sie drei Indianer auf Pferden, die auf das Dorf zuritten. Sie gehörten offensichtlich nicht zum Dorf, denn drei Männer des Dorfes stellten sich ihnen in den Weg. „Lass uns hier verschwinden. Wer weiß, was das zu bedeuten hat.“, wisperte Wilhelm. Mia schaute ihn an: „Ich fühle mich sicher. Die drei Männer aus dem Dorf würden sich doch sicher anders verhalten, wenn die anderen drei irgendetwas Böses vorhätten, oder? Lass uns mal beobachten, was passiert.“

Einer der Angekommenen bat um ein Treffen mit dem Rat, um einen Lacrosse Wettbewerb zu vereinbaren. Die drei Wachleute machten den Weg frei und die anderen Indianer ritten ins Dorf. Mia und Wilhelm sahen sich fragend an. Was war ein Lacrosse-Wettbewerb. Da sie sowieso zu den Alten wollten, konnten sie dort direkt nachfragen. Die beiden fragten im Dorf, wo sie die Gruppe der Alten finden würden. Man schickte sie wieder auf die andere Seite des Dorfes. Sie fanden Weisen Adler und andere ältere Frauen und Männer in Unterhaltungen vertieft in Kreisen sitzen. Als Mia und Wilhelm auftauchten, schaute Weiser Adler auf und begrüßte sie herzlich. „Weiser Adler, was hatte Old Shatterhand dir gesagt, woher wir gekommen sind? Und was ist ein Lacrosse-Wettbewerb?“ fragte Wilhelm wie ein Wasserfall. Weiser Adler bedeutete mit einer Handbewegung, dass die beiden sich in seinen Kreis setzen sollten.

Leon und Flinker Biber waren zum Fluss gelaufen. „Was muss ich den jetzt machen, damit ich meine Eigenschaft bekomme?“, Leon war so unglaublich aufgeregt, dass er kaum noch atmen konnte. Die Eigenschaft flink würde ihm schon auch gefallen. Mutig wäre doch auch toll, aber das wiederum machte ihm direkt wieder Angst. Was müsste er dann wohl machen? Flinker Biber warf sich auf den Boden und fing an, lautlos über den Boden zu streifen. „Los mach mit.“, rief er zu Leon. Leon warf sichzu Boden und versuchte ebenfalls so zu robben, dass es keinen Lärm machte. Aber das war vergebens. Bei der Stille um sie herum, hatte er das Gefühl er verursache bei jeder Bewegung ein Erdbeben. Flinker Biber drehte sich um und lachte ihn an: „Also leiser Waschbär wird es schon mal nicht“. Dann erklärte Leon, dass er nur mit wenigen Punkten des Körpers den Boden berühren dürfte. Der ganze Körper musste sehr angespannt sein. Leon versuchte sein Glück, aber es war so wahnsinnig anstrengend. Nach einer Weile ging es immer besser und er war schon ein bisschen stolz auf sich. Doch die Eigenschaft, die zu Leon passen würde, hatten sie noch nicht gefunden.

Plötzlich schoss Flinker Biber hoch und sprang in den Fluss. Er hielt seine Hände ins Wasser und versuchte Fische zu fangen. Auch dabei war er wieder ganz angespannt. Leon versuchte, es ihm gleichzutun. Da sah er einen Fisch und stürzte sich auf ihn. Der Fisch war weg und Leon lag im Wasser. Flinker Biber machte einen Freudentanz um ihn herum. Leon stand auf und tanzte wie wild mit Flinker Biber im Wasser. Beide hatten einen Riesenspaß. Das hätte er nie gedacht, schon zum zweiten Mal hatte er einen Riesenspaß am wilden Herumtanzen. Flinker Biber schrie auf einmal „Tanzender Waschbär.“ Leon schaute ihn entgeistert an. Was? Im Ernst? Er hob die Hand, um zu widersprechen, aber Flinker Biber nahm diese und zog ihn aus dem Wasser. „Wir schließen Blutsbrüderschaft“, sprach er feierlich und setzte sich im Schneidersitz nieder. Leon setzte sich ihm gegenüber hin. Eigentlich gefiel ihm der Name überhaupt nicht. Er fand ihn lächerlich, aber es gefiel ihm, dass sein Freund Flinker Biber diesen mit so viel Herz und Wertschätzung aussprach. Leon begriff, dass es für Flinker Biber keinen schlechten oder unpassenden Namen gab. Sie hatten ihn gemeinsam gefunden und damit war er gut. Also dann eben Tanzender Waschbär. Ein kleines Grinsen konnte er sich aber doch nicht verkneifen.

Mia und Wilhelm hatten sich in den Kreis gesetzt und warteten gespannt auf die Antwort von Weiser Adler. Weiser Adler wiederholte nur das, was die beiden sowieso noch wussten. Sie schauten sich enttäuscht an.  Weiser Adler fuhr fort: „Ihr wolltet noch wissen, was ein Lacrosse-Wettbewerb ist. Das ist ein Spiel, bei dem verschiedene Stämme gegeneinander antreten, um einen Gewinner zu ermitteln und das wird dann bei einem großen Fest gefeiert.“ Wilhelm fragte, wie das Spiel gehen würde. Weiser Adler lachte: „Das schaut ihr euch besser an. Es stehen 2 Tore auf einem großen Feld gegenüber. 2 Mannschaften spielen mit Schlägern gegeneinander. Die Mannschaft, die als erste 100 Tore erlangt hat, hat gewonnen. Große Bärin verhandelt gerade über das nächste Spiel gemeinsam mit den Apachen aus dem Tal. In 7 Tagen von heute an soll es stattfinden“ „Wow!“, rief Mia erfreut, dann werden wir das Spiel erleben.“ Werden wir doch?“ Sie schaute Wilhelm fragend an. Er dachte kurz nach: „Warum nicht? Das wird bestimmt toll.“Sein Unbehagen verschwand mehr und mehr. Dagegen wuchs die Sicherheit, dass sie genau hierhin gehörten, von Minute zu Minute mehr.

„Loss komm, Wilhelm wir gehen zur Hütte von Großer Bärin. Vielleicht kann sie uns noch mehr erzählen. Mich würde auch interessieren, was Leon so erlebt hat. Und Spuren lesen möchte ich auch lernen.“ Mia sprang auf und rannte los. Wilhelm lächelte zu den anderen im Kreis, erhob sich und ging langsam hinter Mia her. Sie wollten doch wissen, woher sie kamen? Aber so wichtig war es nun auch nicht. Das konnte bestimmt warten, bis die Spiele vorbei waren.

Leon schaute Flinker Biber an, der ihm im Schneidersitz gegenübersaß. Er hatte sich wieder ein bisschen beruhigt und nun dachte er über diese Blutsbrüder-Sache nach. „Wie geht denn das jetzt mit der Blutsbrüderschaft. Ich hoffe nicht, dass wir uns die Arme aufschlitzen müssen.“ „Wir wollen uns doch nicht schwer verletzen. Wir brauchen doch nur ein bisschen Blut. Finger reicht.“ Leon erwiderte nachdenklich: „Weißt du was, ich finde es so toll, dass du mein Freund bist und wir sind doch auch Brüder, ohne dass wir uns verletzen müssen, oder?“ Flinker Biber sah ihn enttäuscht an, steckte sein Messer aber weg und einen Augenblick später strahlte er schon wieder. „Ja Bruder Tanzender Waschbär, wir sind sowieso Freunde und Brüder. Los komm, wir gehen nach Hause. Wir müssen allen von deinem neuen Namen erzählen.“ Leon dachte nur, was wohl Mia dazu sagen würde. Vermutlich würde sie sich kaputtlachen.

Sie kamen bei der Hütte an und sahen Mia, Große Bärin und Wilhelm in ein Gespräch vertieft. Sie sahen sehr ernst aus. Die beiden Jungen blieben kurz stehen und schauten sich an. Hoffentlich war nichts Schlimmes passiert.