Mia & Wilhelm und die magische BOKX

Kapitel 19: Süß und klebrig

Mia und Wilhelm blickten über ein großes grünes Wiesental. Tausende Butterblumen blühten überall und es lag ein wunderbar süßer Duft in der Luft. Mitten durch die Landschaft schlängelte sich ein breiter Fluss, an dessen Ufer lauter hübsche Sträucher und Bäume wuchsen. Eigentlich machte die ganze Anlage einen sehr gepflegten Eindruck und so waren Mia und Wilhelm sehr erstaunt, als ihnen auffiel, dass das Wasser, das da durch den Fluss rauschte, eine sehr ungesunde dunkelbraune Farbe hatte.

„Verdammte Umweltverschmutzung!“, grummelte Wilhelm und wollte gerade finster mit dem Kopf schütteln, als Mia ihn plötzlich am Ärmel zog. Sie zeigte mit ausgestrecktem Arm auf eine Felswand, die sich in der Mitte des Tals erhob. Dort schien der Fluss zu entspringen – ein gewaltiger brauner Wasserfall stürzte sich aus großer Höhe und mit lautem Rauschen in die Tiefe. Mia bedeutete Wilhelm, den Kopf noch ein Stückchen weiter zu drehen.

Neben dem Wasserfall ragten viele dicke Rohre aus dem Wasser. Da sie aus Glas waren, sah man gut, dass sie das Wasser aus dem Fluss heraufzupumpen schienen. Als Wilhelm diese Röhren jetzt mit seinen Augen verfolgte, stellte er verwundert fest, dass sie sich nicht unter freiem Himmel befanden – ganz weit über ihnen befand sich eine Art Zimmerdecke, genaugenommen sah es verdächtig danach aus, als würden sie sich unter der Erde befinden. Aber wie könnten unterirdisch alle diese Pflanzen blühen? Wilhelm runzelte die Augenbrauen, während er seinen Blick weiter durch den Raum wandern ließ.

Mia war inzwischen einige Schritte in den wunderlichen Raum hineingetreten. Wilhelm folgte ihr. Langsam glitt seine Hand von der Türklinke, die er bis jetzt festgehalten hatte. Sofort war die Tür verschwunden.

Das Gras unter Mias Füßen hatte laut geknistert. Sie hatte noch nie knisterndes Gras gehört – nur ein paarmal im Winter, aber da war es auch gefroren gewesen. Verwundert bückte sie sich, zog ihre Handschuhe aus und strich über die Grashalme. Sie fühlten sich ganz anders an, als sie es von zuhause kannte. Sie pflückte einen und hielt ihn sich ganz nah vor ihr Gesicht, um ihn genau zu betrachten. Er glitzerte ein wenig. Noch merkwürdiger aber war, dass er nach Pfefferminz roch. Vorsichtig knabberte sie ein winziges Stückchen davon ab.

Tatsächlich schmeckte der Grashalm auch nach Pfefferminz, er war herrlich süß und einfach köstlich. Mia pflückte noch einen der Halme und steckte ihn Wilhelm in den Mund, der ihn gleich wieder ausspuckte. Dann sah er sie erstaunt an. „Heiliger Bimbam! Das schmeckt ja nach Pfefferminz!“, sagte er und strich sich ungläubig über den Mund. Mia gab ihm einen weiteren Halm und diesmal aß er ihn ganz auf. „Mhhhh!“, machte er und klaubte ein Stückchen des süßen Grashalms aus seinem Schnurrbart, das er sich ebenfalls in den Mund steckte. Mia aß inzwischen eine der Butterblumen. „Die sind sogar noch besser!“, sagte sie zu Wilhelm, als sie ihm eine entgegenstreckte.

Ohne es zu merken, hatten sie sich pflückend und schmatzend dem Wasserfall genähert. Jetzt standen sie kurz davor. Eigentlich hatten sie erwartet, dass der braune Fluss abscheulich stinken müsse, aber das ganze Gegenteil war der Fall: Der Fluss duftete herrlich – nach Schokolade. Wilhelm pflückte zwei Butterblumen und tauchte sie vorsichtig in das braune Wasser. Es war wirklich flüssige Schokolade – Wilhelm und Mia verspeisten die schokolierten Blumen mit leuchtenden Augen. „Die beste Schokolade, die ich je gegessen habe!“, schmatzte Wilhelm und Mia nickte zustimmend. Die beiden ließen sich am Flussufer in das Zuckergras sinken.

„Wohin führen die Rohre?“, fragte Mia, nachdem sie vier weitere Grashalme verspeist hatte. Wilhelm zog nachdenklich die Mundwinkel nach unten und verfolgte mit zusammengekniffenen Augen die Rohre. Es waren so viele und sie verliefen so kreuz und quer, dass er es nicht erkennen konnte. Er zuckte die Schultern und gab zu, dass er keine Idee hatte. Geräuschvoll zerkaute er eine Butterblume und ließ seinen Blick wieder nach unten wandern. Plötzlich fuhr er zusammen.

Vom anderen Flussufer starrte ihn ein Paar Augen an. Er hatte es nur durch ein Gebüsch wahrgenommen. Im nächsten Moment waren die Augen nicht mehr zu sehen gewesen, aber Wilhelm glaubte, er hätte trippelnde Schritte gehört, die sich von ihnen entfernten. Er presste sich den Finger auf die Lippen und sah Mia eindringlich an, die sich sofort ganz klein machte – aber sie waren bereits entdeckt worden.

Hastig sprangen die beiden auf, um sich hinter einem großen Rhododendronbusch zu verstecken. Hätte sie nicht gerade so wahnsinnige Angst gehabt, hätte Mia sicher eine seine rosafarbenen Blüten probieren wollen, bestimmt waren auch diese einfach köstlich. Aber dazu war jetzt keine Zeit, die beiden drückten ihre Nasen tief in die Wiese und versuchten, sich so klein und flach wie möglich zu machen.

Leider konnten sie so nicht sehen, dass die Angreifer sich ihnen von hinten näherten – ehe die beiden bemerkten, was um sie herum passierte, waren sie von dutzenden Händen gefesselt worden.
Da lagen sie nun und konnten sich keinen Zentimeter mehr bewegen.
Die Seile um ihre Körper fühlten sich merkwürdig klebrig an und kurioserweise rochen sie nach Kaugummi. Die beiden wussten nicht, wie ihnen geschah. Sie hörten sie ein lautes Kichern, das in ein haltloses Lachen überging. Dann fühlten sie, wie viele kleine Hände an ihre Körper griffen und sie mit einem Ruck herumdrehten, so dass sie auf dem Rücken lagen. Nun endlich konnten sie sehen, wem sie dort in die Falle getappt waren.

Es war eine große Gruppe winzig kleiner Männer. Hätte Wilhelm nicht gefesselt am Boden gelegen, wären sie ihm wohl höchstens bis zum Knie gegangen. Sie alle hatten komisches langes Haar und bekleidet waren sie mit Rotwildfellen. Eigentlich sahen sie ganz lustig aus, aber sie sahen auch aus wie gute Krieger und angesichts ihrer Kaugummifesseln überwog bei Mia und Wilhelm eindeutig die Furcht. Ganz im Gegenteil zu ihren Angreifern offensichtlich, die sich beim Anblick der ängstlichen Gesichter ihrer Gefangenen kaum noch auf den Beinen halten konnten. Sie prusteten und kicherten und kugelten sich vor Lachen auf dem Boden herum. Mia und Wilhelm starrten sie mit großen Augen an.

Plötzlich hörten sie, wie schwungvoll eine Tür geöffnet wurde. Darauf folgten Tippelschritte, die wohl von noch mehr der kleinen Männer verursacht wurden. Aber es waren auch andere Schritte zu hören, schwerere Schritte. Schritte, die klangen, als kämen sie von einem größeren Menschen.

Die kleinen Männer hörten sofort auf zu lachen. In Panik kniffen Mia und Wilhelm ihre Augen fest zu, weshalb sie nicht sahen, dass die kleinen Männer sich in Reihen aufzustellen schienen. Einige von ihnen hatten Trommeln, auf denen sie jetzt laut und rhythmisch zu klopfen begannen.
Dann fingen sie an zu singen:

„Ein alter Mann mit Zwirbelbart,
der sich hier eingeschlichen hat,
mit diesem blonden Kind zusammen
haben wir ihn eingefangen.
Erst haben wir sie eingekesselt,
sie dann mit Kaugummi gefesselt,
denn die zwei fraßen ohne Scham
unsere schöne Landschaft an!
Auf uns‘ren Pfefferminzehalmen
begannen sie herumzumalmen.
Sie schmatzten unverblümt die Blumen,
selbst noch die allerletzten Krumen.
Dann tranken sie mit Hochgenuss
aus uns’rem Schokoladenfluss.
Schau dir nur ihre Münder an,
wo man’s noch gut erkennen kann!
In allen Winkeln Schokolade,
nun obliegt es eurer Gnade,
welche Art Bestrafung bliebe
für dreiste Schokoladendiebe?“

Mia und Wilhelm hatten sich nicht getraut ihre Augen zu öffnen. Durch die geschlossenen Lider sahen sie jetzt, dass ein dunkler Schatten auf sie fiel – gerade so, als würde sich jemand über sie beugen.

Ganz langsam öffnete Wilhelm sein linkes Auge.

Geschrieben und illustriert von
Hannah-Katharina Stalder

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