Fragen über Fragen

„Also gut“, dachte Wilhelm, „im Bücherschrank bin ich jetzt schon mal“. Er fühlte sich schon fast wie ein Magie-Profi oder, wie Mia geschrieben hat, ein Maggie-Profi. Maggie, dachte er lächelnd, da hatte er noch Erinnerung an seine Kindheit. Alles wurde mit Maggie gewürzt. Es gab im Grunde nichts anderes. Salz, Pfeffer und Maggie … und Liebstöckel, aber der wurde Maggiekraut genannt, weil er nach Maggie roch. Wie schön war das doch heutzutage, dass man so viele verschiedene Gewürze kaufen und Essen aus so vielen Ländern kochen konnte, aber man musste echt anerkennend sagen, Maggie hatte das alles überlebt. „Wilhelm,“, sagte er streng zu sich selbst, „du verlierst dich in Gedanken. Es gibt jetzt wahrlich Wichtigeres als über Maggie zu philosophieren.“
Also er war drin in der magischen BOKX, aber er hatte keine Ahnung, wie das passiert ist. Was hatte er gemacht? Sein Wunsch zu Pippi Langstrumpf zu kommen hat nicht funktioniert, aber dann ging es doch. Er war total verwirrt. Er rappelte sich auf, schüttelte sich und war echt froh, dass er die Schriftrolle noch hatte. Er schaute sie an und da stand in wirklich sehr kleiner Schrift direkt neben „den Boden zu berühren“ die Worte „im Bücherschrank“
Wilhelm fluchte leise vor sich hin: „Was genau hat das denn jetzt zu bedeuten: „Das Spiel, wo es verboten war den Boden zu berühren im Bücherschrank“? Ist das jetzt ein Kettensatz? Dieses Spiel habe ich mal mit Mia und Leon gespielt. Jeder muss immer die Worte vorher wiederholen und dann ein neues Wort anhängen. Vielleicht ist das so, aber welches Wort hängt man wie an und mit welchem Ziel? Warum stehen da von Pippi Langstrumpf viele Worte aber dann nur im Bücherschrank?“ Wilhelm hatte Fragen über Fragen und keine Antworten. Also wie sollte er jetzt weitermachen? Noch eine Frage.
Vielleicht sollte er es ganz einfach mal mit Rufen versuchen. Es könnte ja sein, wenn Mia gerade auch im Bücherschrank und nicht im Buch ist, dass sie ihn dann hört. Er holte tief Luft und schrie ganz laut: „Miiiiaaaa!“ Sofort verstummte er, hielt für einen Moment die Luft an und lauschte angestrengt. Nichts. Ein zweiter Versuch konnte nicht schaden. „Miiiiaaaa!“ brüllte er wieder. Aber da war nur eine große Stille.
Es wäre doch zu schön und einfach gewesen. Also dachte er, dass es trotz aller Fragen sinnvoll ist, das Buch von Pippi Langstrumpf zu finden. Vorsichtig ging er an den Regalrand und versuchte die aus seiner Sicht nun völlig überdimensionierte Schriften der Buchrücken zu entziffern. Das Problem war, dass er immer nur einen Teil des Rückens überhaupt sehen konnte. Wenn er sich zu weit vorbeugte, dann lief er Gefahr hinunter zu fallen und schließlich war er ja auch nicht mehr der Jüngste. Da war eine schwarze Schrift auf rotem Hintergrund. „Oder das verlorene Lachen“, las er laut vor. Höher konnte er nicht schauen. Was war das noch mal für ein Buch? Er hatte keine Ahnung, aber das war bestimmt nicht Pippi Langstrumpf. Die hätte niemals ihr Lachen verloren. „137, Arena“, begann Wilhelm den Rücken des nächsten Buches zu lesen, „s u e s s“,fuhr er fort, „Was hatte das denn jetzt zu bedeuten?“ Langsam schwante ihm, dass dieser Buchrücken quasi auf dem Kopf stand, d.h. das Wort, was er da hochkant lesen musste, musste er auch noch rückwärts lesen. Er streckte sich noch ein kleines bisschen weiter nach oben und laß dann noch y und d. „dyseuss“ wiederholte er die Buchstaben, „Achso, das heißt Odysseus.“ Das hatte auch nichts mit Pippi Langstrumpf zu tun. Das nächste Buch stand etwas weiter nach hinten, so dass er sich gut davor stellen konnte und sogar noch etwa Abstand hatte. „Toll,“maulte er so vor sich hin, „jetzt könnte ich den ganzen Buchrücken sehen und sehe nur schwarz und kein Text. Ganz oben kann man einen Löwenkopf erahnen.“ Weiter schaffte er es einfach nicht, sich auf die Zehenspitzen zu stellen. Wenn er jetzt alle Bücher in der Geschwindigkeit entziffern wollte, dann ist er in einem Monat noch damit beschäftigt. Es musste irgendwie anders gehen. „Farben“, stieß er einen lauten Freudenschrei aus. Auf einmal fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Jetzt verstand er auch auf einmal, warum Tolkien neben Dickens in seinem Bücherschrank standen. Sie waren beide Grün. Nach Farben hat Mia seine Bücher sortiert. Er musste trotz dieser ganzen Situation lachen. „Blau“, dachte er, „das Buch von Pippi Langstrumpf ist blau.“ Daran konnte er sich noch gut erinnern. Genau danach würde er jetzt suchen.
Die Schriftrolle machte auf einmal ein komisches Geräusch so eine Art Knistern oder Rascheln. Oh mein Gott, was hat das denn jetzt zu bedeuten? Schnell rollte er sie aus und sah, dass neben Bücherschrank auf einmal Garbadine-Hose stand. Wilhelm hatte ein sehr großes Fragezeichen in seinem Gesicht. Er vermutete, dass er genau in diesem Moment komplett dämlich ausgeschaut haben musste. Was genau hat der offene Bücherschrank mit einer Garbadine-Hose zu tun? Er wusste mal was Garbadine war, irgendwie ein Stoff, aber so genau konnte er sich nicht mehr erinnern. Wie konnte er das rausfinden? Am besten durch ein Lexikon. Vielleicht fand er eins hier im Bücherschrank. Aber jetzt war erstmal das blaue Buch von Pippi Langstrumpf dran. Er ging einfach mal los und noch während er sich überlegte, wie er jetzt am besten die Farben der Bücher erkennen konnte, ging beim übernächsten Buch, an dem er vorbeilief, eine Tür von selber auf und eine tiefe Stimme sagte sehr langsam: „Garbadine“. Kurze Zeit später hörte er eine etwas höhere Stimme, die wie ein Roboter klang: „Diagonalgewebe mit Steilkörpergrat Kette etwa doppelt so dicht wie Schuss.“ Erschrocken schlug Wilhelm die Tür wieder zu. Wieso sagt mir dieses Buch jetzt, was Garbadine ist? Weil es auf der Schriftrolle steht? Warum steht es da? „Am liebsten würde ich die Definition aufschreiben. Auf einmal raschelte und knisterte die Schriftrolle wieder und neben Garbadine Hose erschien Diagonalgewebe mit Steilkörpergrat Kette etwa doppelt so dicht wie Schuss. „Na super“, dachte Wilhelm, „warum ist das jetzt auf die Schriftrolle gekommen?“ Diese vielen Fragen brachten Wilhelm an den Rande der Verzweiflung. Die zwei wichtigsten Fragen waren sowieso, wie konnte er Mia finden und wie konnten sie beide aus dem Schrank herauskommen. Statt Antworten zu erhalten, hatte er immer mehr Fragen im Gepäck. Es half nichts, er musste sich auf Pippi Langstrumpf konzentrieren.
An den nächsten Büchern ging er schnurstracks vorbei, denn er konnte sofort sehen, dass sie nicht blau waren. Auf einmal stoppte er an einem wunderschönen ledergebundenen Buch. Was für eine Seltenheit im offenen Bücherschrank. Er musste das Leder einfach mal berühren. Das Buch war bestimmt wertvoll. Es sah schon etwas älter aus. Er stellte sich auf die Zehenspitzen, um den Buchrücken zu entziffern und da stand, sein Herz hüpfte vor Freude, William Shakespeare, der Sommernachtstraum, so eine verrückte Geschichte mit Liebe, Elfen und Magie. Da wollte er immer schon mal rein. Suchend sah er sich nach der Tür um.