Es geht nach Hause

Und nun saßen sie da! Kalle war wieder in seinem Buch, und jetzt dachten beide für sich, wie es weiter gehen sollte. Mia hatte keine Lust mehr auf neue Abenteuer und sie vermisste ihre Mama. Aber sie war so glücklich darüber, dass Wilhelm doch noch gekommen war. Jetzt wollte sie nur noch aus dem magischen Bücherschrank heraus und nach Hause. Wilhelm ging es ähnlich. Auch er hatte genug von Abenteuern. Letztes Jahr war es so anders gewesen. Dieses Jahr hatte er das Gefühl, dass er es gar nicht richtig genießen konnte, weil er Mia finden wollte. „Doch einen Augenblick mal“, dachte Wilhelm, „die Zeit im Sommernachtstraum möchte ich nicht missen.“ Ja, er hatte es richtig genossen, die Zeit, die er dort verbringen durfte. Na, gut! Die Probleme mit Kuncz hätten nicht sein müssen, aber das war ja schließlich auch noch mal gut gegangen.

Gerade als er an den Sommernachtstraum denken musste, merkte Wilhelm wie kalt es ihm war. Er brauchte dringens seinen Mantel wieder. Er verstand gar nicht, warum Kalle ihn überhaupt verloren hatte. So nahm er die Schriftrolle aus seinem Lederbeutel und rollte sie auseinander. Oh, Schreck! Die Schriftrolle war so gut wie voll. Wieviele Wünsche würden sie noch haben. Auf jeden Fall musste ein Wunsch sein, dass sie wieder aus der BOKX kamen. Aber was wäre, wenn der Wunsch nach seinem Mantel den letzten leeren Teil der Schriftrolle füllen würde. Kämen sie dann wirklich nie wieder aus dem Schrank heraus? Wilhelm stand vor einem schrecklichen Dilemma. Wenn er sich seinen Mantel wünschte, bestand die Gefahr, dass sie für immer im Schrank bleiben mussten. Doch wenn er den Mantel nicht wieder mit aus dem Schrank nehmen würde, würden sie gegen eine weitere goldene Regel des magischen Schrankes verstoßen. Es durfte im Schrank nichts zurückbleiben, was mit hineingebracht worden war. Wilhelm wusste nicht was er tun sollte, aber wie sollte er auch richtig denken, so kalt wie es ihm war. Sollte er Mia fragen? „Nein, besser nicht!“  Letztendlich entschied er sich, dass Risiko auf sich zu nehmen und es zu wagen, seinen Mantel herbei zu wünschen.

„Mia, wir haben nur noch zwei Wünsche. Mehr Platz ist einfach nicht auf der Schriftrolle.“ „Das ist in Ordnung Wilhelm, denn am liebsten wäre ich jetzt sowieso zu Hause bei Mama.“ Wilhelm wurde ganz anders. Mia hatte die magischen Worte gebraucht. Was würde jetzt geschehen. Als Mia das erschrockene Gesicht von Wilhelm sah, wurde ihr klar, was sie angerichtet hatte. Eine Panik überfiel sie. „Wilhelm, ich will nicht im Schrank bleiben und ich will jetzt zu Mama“, schrie sie voller Verzweiflung. „Mia, bitte beruhige dich. Wir müssen jetzt einen klaren Kopf behalten.“ Doch irgendetwas stimmte nicht! Aber was? Wilhelm dachte im Stillen: Bisher war es so, dass die Wünsche doch immer prompt in Erfüllung gingen kaum, dass wir sie ausgesprochen hatten. Wieso ist Mia immer noch hier bei ihm?“ Vorsichtig rollte er die Rolle auseinander. Und zu seiner großen Erleichterung, stand Mias Wunsch nicht auf der Rolle. Aber sie hatte doch die magischen Worte gesagt. Also, warum war sie noch hier? Wilhelm konnte es sich nicht erklären. Doch war es nicht so wichtig, wie die Tatsache, dass er endlich seinen Mantel brauchte. So sprach er zu Mia: „Weißt du, was mir jetzt am liebsten wäre, dass mein Mantel hier liegen würde und ich ihn anziehen könnte. Denn ich bin kurz vor dem Erfrieren.“ Kaum hatte er es ausgesprochen, lag der Mantel auch schon neben Mia auf dem Regalbrett und so schnell, wie er konnte, zog Wilhelm ihn an. Es war gar kein Vergleich zu vorher.

„Mia, wir müssen jetzt nachschauen, ob wir noch genug Platzt für einen Wunsch auf der Schriftrolle haben.“ „Was, soll das heißen? Du hast doch gesagt, dass wir noch zwei Wünsche hätten.“ „Ja, Mia, du hast ja Recht. Aber es war mehr eine Hoffnung als Gewissheit.“ „Und wie bekommen wir die jetzt?“ „Indem wir auf die Schriftrolle schauen.“ Wilhelm nahm diese vorsichtig in die Hand und rollte sie ganz vorsichtig auf. Beide starrten wie gespannt auf sie. Je näher sie dem Ende kamen, desto unruhiger wurden sie. Mia hatte so eine Angst, dass sie ihre Hände vor ihr Gesicht schlug, nur damit sie nichts sehen konnte. Es waren nur noch wenige Zentimeter bis zum letzten Wunsch und wieviel Platz dann noch blieb war entscheidend. Schließlich war es soweit! „Mia, wir können nach Hause“, sagte Wilhelm voller Freude, „es ist noch genug Platz da!“ Mia führte einen Freudenstanz auf, den man noch nicht gesehen hatte und selbst Wilhelm konnte nicht mehr stillstehen. Er hüpfte von einem Bein auf das andere.

„Du, Wilhelm“ „Ja, Mia“ „dieses Jahr war es ganz anders als im letzten Jahr!“, sagte Mia. „Da stimme ich dir voll und ganz zu! Es war aufregend, spannend, aber auch schön.“ „Was glaubst du, wie es im nächsten Jahr wird?“, fragte Mia und schaute Wilhelm mit großen Augen an. Das durfte doch nicht wahr sein! Sie waren noch nicht aus dem Schrank und Mia dachte schon an das nächste Jahr. Wilhelm wollte gar nicht daran denken. „Lass uns erst mal wieder nach Hause kommen. Ich verspreche dir jetzt noch nichts, aber im Sommer könnten wir ja noch einmal darüber nachdenken! Was meinst Du?“ Allein die Aussicht, dass sie nächstes Jahr eventuell wieder im Schrank wären, war für Mia wie Weihnachten und Geburtstag gleichzeitig. Und sie würde Wilhelm schon weichklopfen, denn das war eine ihrer leichtesten Übungen.

„Du, Wilhelm bevor wir gehen habe ich noch eine Frage.“ „Die da wäre?“ „Warum hat Kalle am Anfang Schwedisch gesprochen? Ich meine in den Büchern haben doch alles Deutsch gesprochen.“ „Stimmt, aber ich glaube der Grund dafür ist, dass die Bücher alle ins Deutsch übersetzt wurden. Aber als Kalle aus seinem Buch fiel, sprach er halt Schwedisch, weil außerhalb des Buches keine Übersetzung war.“ „Verstehe ich nicht, warum müsst ihr Großen bloß immer so kompliziert sein. Aber mir ist es egal, denn ich spreche ja beides!“

„Bist du bereit, Mia?“ „Ja bin ich.“ So nahm Wilhelm die Schriftrolle und sprach: Trotz aller Abenteuer, die wir erleben durften, wären wir am liebsten wieder draußen vor dem Bücherschrank!“ Und in der nächsten Sekunde standen beide vor dem Bücherschrank und strahlten über das ganze Gesicht. „Jetzt lass uns aber schnell nach Hause gehen!“ Wir müssen Tage im Schrank gewesen sein. Deine Eltern haben dich bestimmt schon bei der Polizei als vermisst gemeldet. Das gibt Ärger!“ Sie waren kaum ein paar Schritte gegangen als Mia sich umdrehte und zum Schrank zurücklief: „Ich habe etwas vergessen. Ich bin gleich wieder da.“ Wilhelm hatte keine Idee, was sie vergessen haben könnte. Dieses Kind war manchmal nicht zu verstehen. Einen kurzen Augenblick später kam Mia zurück und hielt etwas Gelbes in ihrer Hand. Wilhelm lächelte, als er begriff, dass Mia das Buch von Kalle Blomquist in der Hand hielt.

Ohne weitere Unterbrechungen gingen sie jetzt direkt zu Mia nach Hause. Dort angekommen, rief Mia: „Ich bin wieder da. Es ist nichts passiert. Alles ist gut!“ Mama kam aus der Küche. „Oh, Wilhelm, wo hast du sie gefunden? Das ging ja schnell.“ „Wieso schnell?“, fragte Wilhelm ganz vorsichtig. „Na, du bist doch gerade erst aus der Tür gegangen. Ich habe es nicht einmal geschafft alle Zutaten für die Weihnachtstorte aus dem Kühlschrank zu holen.“ Mia lachte laut auf und flüsterte dann ganz leise Wilhelm ins Ohr:

„Wilhelm, dass ist ja genau so wie in Narnia!“