Das erstarrte Bild

Mia, Kalle und Wilhelm schauten sich verwirrt um. Waren sie nun bei Kalle gelandet? „Schaut mal, da ist Anders!“ schrie Kalle freudig. Er wollte schon aufspringen und zu Anders zu laufen, aber Wilhelm hielt ihn mit festem Griff fest. „Stopp, Kalle. Wir müssen jetzt erstmal genau überlegen, was wir wie machen. Du weißt, Mia und ich dürfen uns nicht in die Geschichten einmischen und du musst hinein, ohne dass es auffällt, dass du weg warst.“ Kalle sah ihn enttäuscht an, aber blieb einfach sitzen. Wilhelm hatte Recht. Jetzt waren sie soweit gekommen, dann sollten sie es nicht vermasseln. Wilhelm schaute Kalle an und sagte etwas traurig: „Es hat großen Spaß gemacht, dich getroffen zu haben, aber wir müssen dafür sorgen, dass du alles vergisst, sobald du wieder in deinem Abenteuer bist.“ Beide Kinder nickten schweigend mit ihren Köpfen. Mia sagte auf einmal: „Der Anders, der bewegt sich gar nicht.“ Kalle und Wilhelm schauten ebenfalls zu Anders. Mia hatte Recht, er war stocksteif. Dann sahen sie sich das ganze genauer an. Sie waren hinter einem Busch, aber alles wirkte wie erstarrt. Anders stand alleine vor einem Haus und am Fenster war ein Mann zu sehen, dahinter etwas entfernt war ein Mädchen zu sehen. Beide regten sich überhaupt nicht.  „Da ist Eva-Lotta!“ Kalle konnte sein Glück kaum fassen, obwohl es ihn sehr irritierte, dass sie sich nicht bewegte, obwohl sie direkt hinter dem Mörder stand. Ob sie lebte, konnte man noch nicht so genau sagen, aber sie war zumindest irgendwie noch da.

Dann fiel es ihm auf und er sprudelte auf einmal los: „Hier bin ich rausgefallen. Vorher hatten wir in dem unbewohnten Herrenhof nach diesem Papier, dass die Mitglieder der Roten Rose versteckt hatten. Wir hatten es dann in dem Haus auch gefunden und es stellte sich heraus, dass das eine Art Landkarte war. Obwohl wir sehr sicher waren, dass das nur eine Falle wäre, hatten Anders und ich beschlossen, den Fleck zu suchen, wo wir nach dem Großmummerich hätten graben sollten. Eva-Lotta hatte keine Lust und war in dem unbewohnten Haus geblieben. Als wir zurück zum Haus gekommen waren, hatte der Mann genauso, wie jetzt zu sehen, am Fenster gestanden und wollte uns ins Haus locken, aber da hatte Eva-Lotta von hinten angefangen zu singen. Erst sang sie das Lied „Sommer ist die Sonne scheint“ doch dann hatte sie den Text verändert. Sie hatte auf einmal mit der bekannten Melodie gesungen: „Mom ö ror dod e ror“.“ Mia fiel ihm ins Wort: „Weißt du, Wilhelm, das ist die Geheimsprache der Weißen Rose und bedeutet Mörder.“ Kalle fuhr ungeduldig fort: „Ich habe das sofort verstanden und bin genau hinter diesen Busch gegangen. Ich erinnere mich noch, dass der Mann mir wütend hinterhergerufen hatte: „Wo willst du hin?« schrie der Mann im Fenster ärgerlich. Willst du nicht dabei sein, wenn es Geld zu verdienen gibt?“. Dann wurde alles dunkel geworden.“

Gut, sagte Wilhelm, dann sind wir schon mal an der richtigen Stelle und offensichtlich ist die Geschichte ohne dich angehalten. Jetzt müssen wir noch überlegen, wie du ohne uns hier wieder richtig reinkommst“ Mia schrie auf einmal laut auf: „Reinlesen.“  Das hört sich gut an, aber wie sollen wir das machen. Wir sind im Buch, also kann ich es nicht vorlesen.“ Wilhelm schüttelte nachdenklich den Kopf. Was haben wir denn noch an magischen Hilfsmitteln?“ Mia öffnete ihren Rucksack. „Wir haben noch 2 Phiolen Vergessenstrank von Dumbledore.“ Dann fiel Mia wieder ein, dass sie bei George den Trank zum Träufeln verwendet hatten. Irgendwie hatte das auch gewirkt. Wilhelm holte die Schriftrolle heraus: „Nun wissen wir ja, mit welchen zwei Worten unsere Wünsche erfüllt werden.“ „Und was machen wir jetzt damit?“ Kalle hob die Augenbrauen hoch.

Ich denke, wir müssen erstmal wieder aus deinem Buch. Ich glaube so kommen wir nicht weiter. Wir wissen ja jetzt, dass es „eingefroren“ ist und Eva-Lotta bis zu deiner Rückkehr nichts passiert.“, überlegte Wilhelm laut. „Dann sehen wir weiter.“ Kalle gab ihm sofort Recht und gab zu bedenken, dass er keine Tür sah. „Wir nehmen uns an die Hände und wünschen uns mit der Schriftrolle in den Bücherschrank zurück.“. Er fasste mit der einen Hand Mia und der anderen Kalle und sagte laut:“ Am liebsten wären wir wieder im Bücherschrank am besten direkt neben Kalles Buch.“ Die Schriftrolle wurde hell und nach dem gewohnten Herumgewirbel waren sie wieder in der eisigen Kälte des Bücherschrankes. Sofort sah Wilhelm auf die Schriftrolle und folgendes war zu lesen: „wieder im Bücherschrank am besten direkt neben Kalles Buch“ und wie Aslan gesagt hatte, war die Schrift wieder größer geworden. Wilhelm schaute sich das alles an. „Kinder, wir müssen unsere Wünsche kürzer fassen, dann haben wir mehr Platz auf der Schriftrolle.“

Fast lautlos flüsterte Kalle: „Die ganze Zeit mit Euch war so schön abenteuerlich, aber ich hatte die ganze Zeit Sorge um Eva-Lotta. Jetzt weiß ich alles ist in Ordnung und jetzt könnten wir doch weitere tolle Abenteuer erleben. Wollen wir nicht noch ein paar Bücher besuchen, bevor ich wieder zurückgehe?“ Mia wurde ganz aufgeregt: „Oh bitte, Wilhelm. Lass uns das machen. Ich habe Kalle so liebgewonnen.“ Wilhelm schaute auf die Schriftrolle und überlegte. Irgendwie konnte er die Kinder verstehen, aber seine Vernunft sagte natürlich, dass es besser wäre, Kalle sofort in sein Buch zurückzubringen. Ich glaube, es ist vernünftiger, jetzt einen Weg für Kalle zu finden. „Vernunft ist so ein doofes Wort.“, erwiderte Mia wütend, „und damit kann man keinen Blumentopf gewinnen.“ Den Spruch hatte sie mal von Mama gehört und hat ihn sehr lustig gefunden. Dann schossen ihr die Tränen in die Augen, als sie an ihre Mama dachte. Vielleicht wäre es doch ganz gut, jetzt alle magischen Hilfsmittel zu verwenden und wieder nach Hause zu kommen. Doch Kalle bettelte weiter. Er werde nie nie wieder die Chance haben, etwas außerhalb von Kleinköping zu erleben. Wilhelm und Mia schauten sich an. Wilhelm sah die Tränen in Mias Augen. „Was ist los?“, fragte er besorgt. „Ach, ich habe an Mama gedacht.“ Mia lief noch eine große Krokodilsträne über die Wange. Wilhelm nahm sie hoch und drückte sie ganz fest. „Es wird alles gut. Wir werden bald zu Hause sein. Wir wissen jetzt, wie die Schriftrolle funktioniert, also können wir uns noch ein bisschen was wünschen. Wir müssen nur darauf achten, dass genug Platz für unseren letzten Wunsch da ist. Ab jetzt überlegen wir genau, was wir uns mit wenig Worten wünschen können. Und wenn wir das wissen, dann sagen wir es mit den zwei Worten davor. So traue ich mich sie nicht zu sagen. Sollen wir das Kalle zuliebe machen? Das wird doch vielleicht für uns auch ein großer Spaß.“

Mia zog die Nase hoch und nickte mit dem Kopf. Wilhelm ließ sie wieder runter und sagte dann zu Kalle, „Wo willst du denn hin?“ „Da wo es tolle Abenteuer gibt.“, rief er strahlend und hüpfte vor Glück von einem Fuß auf den anderen. Wilhelm überlegte. Aus seiner Jugend kannte er nur Karl May. Der hatte tolle Indianergeschichten geschrieben, obwohl er nie im Wilden Westen war. Laut sagte er: „Winnetou! Mia erinnerst du dich noch, da haben wir letztes Jahr nur mal die kurz die Tür aufgemacht. “ „Au ja“, platze es aus Kalle heraus, „zu den Indianern!“ Mia dachte voller Angst, das sind jetzt echt Jungssachen. Sie wäre viel lieber bei Laura und ihrem Stern gelandet. Immerhin erlebt die auch ganz tolle Abenteuer und sie war etwa in Mias Alter. Sie war sich überhaupt sicher, ob sie bei den Indianern dabei sein wollte. Wilhelm beruhigte sie damit, dass sie doch alle Zauber hätten, die sie bräuchten, um ganz schnell wieder zu verschwinden, also könne nichts passieren. Also gab Mia nach und Wilhelm überlegte nun, wie sie mit möglichst wenigen Worten ihren Wunsch umsetzen könnten. Er sagte, dass ein „zu Winnetou“ doch reichen würde, dann wüssten sie natürlich nicht in welches Abenteuer von Winnetou sie kämen. Wilhelm dachte noch insgeheim, dass er nicht so gerne an die Stelle käme, in der Winnetou stirbt. Das wäre zu schrecklich. Da er wusste, dass es von Winnetou vier Bände gab, dachte er sich, dass sie vielleicht doch Band 1 sagen sollten. „Wir sollten uns auf jeden Fall fest an den Händen halten, damit wir auch beim Herumwirbeln zusammenbleiben.“ Also bildet sie mit ihren Händen einen Kreis und Wilhelm sagte laut: „Am liebsten Winnetou Band 1.“ Es folgen Licht und Herumgewirbel und auf einmal waren sie umgeben von Felsen und Gestein. Sie duckten sich erst mal, um genau herauszufinden, wie die genaue Situation war. Da sie sich zu Winnetou gewünscht hatten, könnte es ja sein, dass er unmittelbar neben ihnen wäre. Wilhelm dachte nun, dass sie den Wunsch doch nicht so gut formuliert hatten, denn zwar hatten sie sich in das Buch Winnetou gewünscht, aber doch nicht zwingenderweise auch zu der Figur Winnetou. Bergab von den Felsen sahen sie eine Art Lager und bei genauem Hinsehen war es eine Baustelle der Eisenbahn. Hier hatte Winnetou Old Shatterhand schwer verletzt. Das war aber wohl noch nicht passiert. Vielleicht waren die Apachen schon in der Nähe und warteten auf den Angriff auf die Eisenbahn. Da er die Lage nicht so ganz überblicken konnte, sagte er zu den Kindern, dass sie sich unter dem Felsvorsprung etwas weiter unten verstecken und ganz leise sein sollten. Kaum waren sie verschwunden, spürte er einen sehr starken Schmerz in seinem rechten Arm, als jemand diesen nach hinten zog und eine Stimme fragte: „Was machst du hier, weißer Mann?“