Mia und die Magie

Mia wachte auf und schaute auf ihren Kalender. Der erste Dezember war vorbei. Sie hatte sich das ganze Jahr so auf diesen Tag gefreut und Wilhelm hat sie gestern einfach hängengelassen.  Eigentlich hatten Wilhelm und sie letztes Jahr verabredet, dass sie sich heute wieder vor der Bücher BOKX treffen wollten. Aber gestern hat er einfach einen Rückzieher gemacht. Er war fest davon überzeugt, dass sich so ein Abenteuer nicht wiederholen lassen würde. Und die Schriftrolle war leer. Es konnte einfach nicht funktionieren. „Oh diese Erwachsenen! Warum mussten sie immer so vernünftig sein.” Mia glaubte fest an die Magie des offenen Bücherschranks. Wie konnte Wilhelm nur so dumm sein und nicht daran glauben. Erwachsene konnten echt blöd sein. Dann gehe ich halt ohne Wilhelm. Aber jetzt, wo es soweit war bekam sie Angst und ihr Mut verließ sie. „Wie komme ich in den offenen Bücherschrank?” Mia saß in ihrem Zimmer und grübelte. Plötzlich sprang sie auf und hüpfte in ihrem Zimmer umher: „Ich hab´s! Ich frag einfach Leon.”

Doch, obwohl Leon ihr Zwillingsbruder war, konnten sie nicht unterschiedlicher sein. Mia liebte Geschichten und Bücher. Immer wieder träumte sie, dass sie ein Teil der jeweiligen Geschichte war. Wie oft hatte sie schon Ronja und die Räuberbande im Wald besucht. Und sie hatten schon so viele Abenteuer zusammen mit Ronja erlebt. Aber am Allerliebsten träumte sie davon, in der Villa Kunterbunt zu sein. Mit Pippi Limonade aus dem Limonadenbaum zu trinken und sich mit ihr verrückte Spiele auszudenken. Es war aber nicht das Gleiche, wie die Abenteuer, die sie letztes Jahr mit Wilhelm im Bücherschrank erlebt hatte. Dort waren sie wirklich in den Büchern gewesen und hatten so viele Menschen getroffen, so zum Beispiel Martin und die Wildgänse. Auch Dumbledore waren sie begegnet und hatten einen Auftrag für ihn erledigt. Daher wollte Mia unbedingt auch die Bücher von Ronja Räubertochter und Pippi Langstrumpf mitnehmen. Sie wünschte sich so sehr, dass sie mit der Magie der BOKX Ronja oder Pippi treffen könnte. Zum Glück hatten ihre Eltern ihr die beiden Bücher auch auf Deutsch geschenkt, so dass auch ihr Au-pair Mädchen die Bücher vorlesen konnte.

Und Leon fand Bücher langweilig und konnte gar nicht begreifen, wie man so viel Zeit für diese verschwenden konnte. Er wollte immer nur Action. So liebte er seine Playstation und den Fernseher. Zwar hatten seine Eltern die Zeit für beides begrenzt, aber Leon schaffte es immer wieder, dem Au-pair Mädchen klar zu machen, dass es sehr wichtig war. Mit dem Ergebnis, dass er fast nur noch an seiner Playstation oder vor dem Fernseher hing. Mia glaubte nicht, dass ihr derzeitiges Au-pair Mädchen, Susan, Leons Argumenten immer Glauben schenkte. Jedoch konnte Susan so ungestört ihre Fingernägel lackieren. Mia nannte sie nur „lackierte Ziege”, aber das sagte sie niemals laut.

Mia legte sich einen Plan zurecht, wie sie Leon überzeugen wollte und ging zu ihm ins Wohnzimmer. „Leon, du magst doch Abenteuer, oder?” Leon reagierte nicht. „Wollen wir nicht zusammen Abenteuer erleben?” Aber es war wie immer, wenn Leon gerade sein Lieblingsspiel spielte. Er bekam kaum noch mit was um ihn herum passierte. So sagte er nur, dass er keine Lust habe und das Mia ihn nicht stören soll. „Aber Leon, stell dir doch nur mal vor, wir kommen in den offenen Bücherschrank und könnten in die Bücher hineingehen. Das wäre doch ein großer Spaß! Bitte komm doch mit zur BOKX” bettelte Mia mit schmeichelnder Stimme. Aber in diesem Moment verlor er sein Spiel und wurde total wütend. „Lass mich doch in Ruhe mit deinen verrückten Ideen. Das geht doch gar nicht! Du und Wilhelm habt euch das doch nur ausgedacht!” „Das stimmt nicht” antwortete Mia genauso wütend. „Dann gehe ich halt alleine. Ich werde die größten Abenteuer erleben und ihr nicht. Macht doch was ihr wollt. Ihr seid doch solche Idioten! Ohne euch macht es sowieso viel mehr Spaß.”

Fest entschlossen alleine zu gehen, lief Mia in ihr Zimmer und packte den Rucksack. An was musste sie denken? Natürlich brauchte sie etwas zu essen und trinken. In der Küche stibitze sie einige der selbst gebackenen Weihnachtskekse und füllte ihre Trinkflasche mit Wasser. Wieder im Zimmer packte sie die beiden Bücher von Ronja, Räubertochter und Pippi Langstrumpf ein. Sie schaute sich noch einmal in ihrem Zimmer um und sah die Taschenlampe. Ja, die musste unbedingt mit! Zu guter Letzt nahm sie die leere Schriftrolle und legte sie vorsichtig in den Rucksack. Als sie alles hatte, schrieb sie ihrer Mutter noch eine kurze Nachricht:  „Liebe Mama, bin zum Maggi-Schrank gegangen.” Das musste reichen. Sie zog ihre Jacke an, wickelte den Schal um ihren Hals und setzte die Mütze auf. Es konnte losgehen. Wild entschlossen und geballten Fäusten machte sie sich stampfend auf den Weg zur Bücher BOKX, die voller Magie war. Auch wenn die anderen alle nicht daran glaubten.

Und jetzt stand sie vor der magischen Bücher BOKX und wusste nicht, was sie machen sollte. Im letzten Jahr hatte sie sich an einem Buch festgehalten und einen alten Mann, Wilhelm, beobachtet. Als dieser dann nach dem Buch griff, an dem sie sich festgehalten hatte, begann ihr gemeinsames Abenteuer. Jetzt aber war sie alleine. Vielleicht gab ihr ja die Schriftrolle einen Hinweis. Doch diese war leer. Mia wünschte sich doch so sehr Ronja oder Pippi mal wirklich zu treffen. Sie wollte sehen, ob es den Limonadenbaum wirklich gab, und wieviel Spass würde sie dabei haben, mit Pippi zu spielen. „Am liebsten würde ich das Spiel, wo es verboten war, den Boden zu berühren, spielen”. Sie war so in Gedanken versunken, dass sie nicht merkte, dass auf der Schriftrolle genau dieser Wunsch erschien. Die Schriftrolle begann zu zittern und aus ihr schoss ein gleißendes Licht. Mia wurde herumgewirbelt und dabei fiel ihr die Schriftrolle aus der Hand. Dann war alles still und sie war tatsächlich wieder im Schrank. „Oh nein, jetzt habe ich die Schriftrolle nicht mehr! Was soll ich jetzt bloß machen“, sie war den Tränen nahe. Die Bücher waren alle so unglaublich groß und sie fühlte sich ganz verloren, so klein, wie sie war. „Ich weiß ganz genau, dass die Bücher letztes Jahr kleiner waren.” Sie bekam es mit der Angst zu tun. Warum bloß war sie alleine losmarschiert. Vielleicht wäre Wilhelm ja doch noch gekommen. Die Großen machen sonst ja auch immer das Gegenteil von dem, was sie sagen.

Plötzlich öffnete sich die Tür und Mia versteckte sich schnell hinter einem besonders großen Buch. Jemand versuchte ein Buch hereinzustellen, aber es fiel ihm aus der Hand. Bevor es auf den Boden landete, klappte das Buch auf und man konnte ganz deutlich die Seiten sehen. Es wurde aufgehoben und in den Schrank hineingestellt. Mia konnte natürlich noch nicht so schnell lesen, was auf dem Buchrücken stand. Während sie da stand, und versuchte herauszufinden, wie das Buch hieß, hörte sie plötzlich jemanden laut fluchen und vor sich her schimpfen: „Aj, det gjorde ont. Vem vågade putta omkull mig? Järnvägar, jag har viktigare saker att göra. Om jag får reda på vem det var ska han få veta att han lever. Vänta bara tills jag hämnas!”

So ging es noch eine Weile weiter und obwohl es kein Deutsch war, verstand Mia jedes Wort von dem, was derjenige von sich gab, denn er fluchte auf Schwedisch. Sie schlug ihre Hand vor den Mund, denn wenn das ihre Mutter gehört hätte, dann hätte es jetzt richtig Ärger gegeben. Fluchen hatten ihre Eltern Mia und Leon streng verboten. Es gehörte sich nicht. Mia war sich sicher, dass die Stimme zu einem Jungen gehörte. Er hatte sich weh getan und er war sauer, dass er umgeworfen worden war. Und sie wollte nicht in der Haut desjenigen stecken auf den der Junge so wütend war, denn er hatte Rache geschworen. Mia kam hinter dem Buch hervor und sah vor sich einen Jungen, der sich verwirrt umschaute. Er war älter als Mia und irgendwie kam er ihr vertraut vor. Vorsichtig näherte sie sich ihm und fragte ihn schließlich auf schwedisch, wer er sei. „Mein Name ist…” und genau in diesem Moment fuhr ein Müllwagen an der BOKX vorbei, so dass Mia ihn nicht verstand.