Wilhelm sucht weiter nach Mia

Wilhelm saß auf der Parkbank in der Nähe der Villa Kunterbunt und konnte gar nicht genug von dieser frischen und doch warmen Brise bekommen, die sanft über sein Gesicht strich. Dabei war er sogar ein bisschen weggenickt. Er wachte auf und hörte Stimmen. Es waren Leute aus der Stadt, die spazieren gingen. Freundlich hob der Mann seinen Hut und sagte: „Guten Tag“. Wilhelm nickte freundlich zurück und antwortete ebenfalls mit einem „Guten Tag“. Das machte ihn wieder hellwach. Er konnte nicht einfach so herumsitzen. Er musste unbedingt Mia finden. Nochmals nahm er die Schriftrolle zur Hand. Er starrte drauf, aber sie gab ihm einfach keine Antwort. Alle diese Worte, Halbsätze und Sätze ergaben überhaupt keinen Sinn. Er musste hier weg. Aber wie? Letztes Jahr waren sie auf unterschiedlichste Weisen von Buch zu Buch gekommen. Dann starrte er auf das eine Wort. Pulver. Damit war bestimmt das Flohpulver gemeint und das musste Mia gesagt haben und sich dabei an das letzte Jahr erinnert haben. Es konnte überhaupt nicht anders sein. Das Flohpulver hatten sie von Dumbledore bekommen, dem Direktor von Hogwarts, der Schule für Zauberei und Hexerei. Dieser kommt in einer Buchreihe über den jungen Zauberer Harry Potter vor. Wilhelm hatte bis zu ihrem Zusammentreffen letztes Jahr keine Ahnung, wer Dumbledore war. Mittlerweile hatte er sich alle Bände von Harry Potter von Mias Mutter ausgeliehen, die ein richtiger Fan war.  Lächelnd dachte er daran, dass er zusammen mit Mia die ganze Magie letztes Jahr austricksen wollte. Dumbledore hatte sie beide beauftragt, mit dem Flohpulver zu Bilbo Beutlin zu reisen, aber die beiden hatten ganz schlau gedacht: „Wir wünschen uns einfach zum Kamin in Mias Haus.“ Das war ja dann kolossal daneben gegangen. Mit Magie ließ sich leider nicht austricksen.

Wilhelm war sehr erfreut über den neuen Anhaltspunkt. Denn die waren ihm seit er hier an der Villa Kunterbunt angekommen war, ausgegangen. Er wusste einfach nicht, wer Kalle war, und alle anderen Hinweise auf der Schriftrolle halfen auch nicht. Es war für ihn gar keine Frage, dass Mia versuchen würde, in ein Harry Potter Buch zu gelangen. Um dort Dumbledore zu treffen, damit er ihr helfen würde. Dann musste er also auch versuchen zu Dumbledore zu kommen. Das hörte sich so einfach an, aber es gab sieben Bücher von Harry Potter. Aber damit musste er sich später befassen, den die wichtigste Frage war zunächst einmal, wie er hier weg kam. Wilhelm hob seinen Kopf und schaute sich angestrengt um. Wo war nur die Tür? Es musste irgendwo eine Tür geben. Er stand auf und ging vom Weg ab hinter die Bäume. Vielleicht zeigte sich die Tür nicht so öffentlich. Er lief weiter und weiter, aber keine Tür kam. Er versuchte verzweifelt, sich zu erinnern, wie das das letzte Jahr funktioniert hatte. Dann sah er sie. Sie war fast nicht sichtbar, denn sie fügte sich so natürlich zwischen zwei Bäumen ein und man konnte, wie durch ein leicht verschwommenes Glas, die Bäume dahinter sehen und trotzdem war es eine Tür. Wilhelm war sehr erleichtert, denn nun war ihm klar, dass er wieder zurück in den Bücherschrank kam. Er drückte die Klinke langsam runter und ein echt eisiger Windstoß hätte sie fast wieder zurückgedrückt. Er duckte seinen Kopf und machte eine festen Schritt nach vorne und war wieder in der BOKX.

Kaum hatte er die Tür hinter sich verschlossen, kam ein richtig kräftiger eisiger Windstoß und er flog gegen einen Buchrücken. Die Tür vom offenen Bücherschrank war geöffnet worden. Von Buchrücken zu Buchrücken schaffte er es mit letzter Kraft an die Seite vom Bücherschrank, an der es keine Tür gab, und so konnte er sich hinter der Stahlstrebe vor dem Wind schützen. Er sank auf den Boden. Ihm fiel ein, dass er doch noch die Decke in seinem Lederbeutel hatte. Er holte die Decke und das Kissen aus dem Beutel und kuschelte sich rein. Auf einmal hörte er in der Ferne Geschrei. Er konnte nicht verstehen, was geschrien wurde. Das konnte nur Mia sein. Wilhelm versuchte zu schreien, aber aus seiner Kehle kam nur ein Krächzen. Das gab es doch nicht. Er war so nah dran, und nun konnte er sich nicht bemerkbar machen. Nach einer kurzen Weile wurde es wieder still. Dann raschelte die Schriftrolle und es erschien wieder in größeren Buchstaben hinter „bei Pippi Langstrumpf“ „was wir als nächstes machen müssten“. Wilhelm hatte aufgegeben, zu hinterfragen, was das zu bedeuten hatte.

Dann wurde die eine Tür geöffnet und nun war er froh, dass er in der sicheren Ecke im Bücherschrank unter seiner Decke saß. Die Bücher fingen an zu wackeln und er spürte, dass jemand ein Buch herausnahm, aber es auch sofort wieder hineinstellte. Hoffentlich quetscht jetzt nicht noch jemand ein Buch auf dieses Regalbrett, dann würde er vielleicht eingeklemmt und wie sollte er dann hier wieder wegkommen. Kaum hatte er diesen Gedanken zu Ende gedacht, da öffnete sich von der anderen Seite die Tür und dann hörte er auf einmal ganz laut: „Mom ö ror dod e ror“ Was war das? Er schaute auf die Schriftrolle. Vielleicht passierte etwas, aber leider nichts. Das war auch definitiv nicht Mias Stimme. Aber welche dann und was war das für eine Sprache. So etwas hatte er noch nie gehört.

Er hatte in der Ferne Rufe oder Schreie vorhin gehört. Waren das Mia und Kalle gewesen? Sind sie gerade im Bücherschrank? Er lauschte, aber er hörte nichts. Dann räusperte er sich und legte beide Hände um den Mund und versuchte ganz laut Mia zu rufen, aber wieder kam nur ein leises Krächzen aus seiner Kehle. Was war den los? Er konnte sich das nicht erklären. Leider waren sie so klein, dass es keine Chance gab, sich im Bücherschrank zu finden. Also blieb ihm einfach überhaupt nichts anderes übrig, als Harry Potter suchen. Ihm war schon bewusst, dass er den richtigen Band finden musste, damit er Mia treffen konnte und sie mussten dann auch noch gleichzeitig dort sein.

Er winkelte seine Arme an, ballte beide Hände zu Fäusten und drückte sie ganz fest und kniff die Augen so fest zusammen wie er konnte, und sagte ganz laut: „Ich wünsche mir so sehr, zu Dumbledore zu kommen. Doch er dachte: „Am liebsten wäre ich jetzt an einem warmen Kamin.“ Es wurde wieder gleissend hell und er wurde herumgewirbelt, dann war alles um ihn herum dunkel, nur aus einem Kamin kam ein schwaches oranges Licht. Erschrocken schaute Wilhelm sich um und war total irritiert. Als sich seine Augen langsam an das wenige Licht gewöhnten, stellte er fest, dass das hier überhaupt nicht nach Hogwarts aussah. Wo um alles in der Welt war er nur gelandet. Irgendwie hatte er das Gefühl, wie auf einem Präsentierteller zu sitzen also schaute er sich erstmal um, ob er sich verstecken konnte. Auf der einen Seite des Raumes stand ein großer Schreibtisch. Dahinter konnte er sich verstecken. Vorsichtig und leise kroch er auf allen vieren hinter den Schreibtisch.

Plötzlich öffnete sich die Tür des Zimmers und ein Junge mit einem Hund kam herein. Wilhelm sah, wie der Junge ein kleines Fläschchen an den Kamin stellte, dann er rieb dem Hund die Brust und flüsterte leise: „Möglichst nicht husten, Tim. Wenn du das tust, hört dich jemand. Leg dich hier beim Feuer nieder, mein Guter, und wärm dich schön auf. Deine Erkältung wird schon besser werden.“  Wilhelm schaute sich die Szene an und versuchte verzweifelt herauszufinden, wo er gelandet war. In welchem Buch gab es einen Hund Tim? Der Junge hatte sich auf den Teppich vor dem Kamin gelegt und redete noch eine Weile leise auf den Hund ein und schlief dann ein. Auch der Hund fing ganz leise an zu schnarchen. Der dunkle Raum und das warme Feuer hatten Wilhelm ganz müde gemacht. Ihm fielen auf die Augen zu und er konnte sich einfach nicht dagegen wehren.