Das Rätsel der Magie

Mia und Kalle konnten es noch gar nicht fassen, dass sie wieder im Bücherschrank waren. Sie schauten sich mit großen Augen an und keiner traute sich etwas zu sagen. Dann fasste Mia als erstes den Mut ihren Mund zu öffnen: „Kalle, was war das?“ Aber Kalle war nach wie vor sprachlos. Er war sich sicher, dass sie den Schlüssel gefunden hatten. Nach zwei, drei Minuten fand auch er seine Fassung wieder. „Mia, das ist es! Ich weiß jetzt, wie ich zurück in mein Buch finde. Endlich, ich kann zurück und Eva-Lotta retten!“ Kalle war so glücklich, doch Mia verstand gar nichts. Sie hatte immer noch keine Ahnung, wie die Magie des Bücherschrankes funktionierte. „Kannst du mir mal erklären, was du meinst!“ „Mia, überleg doch mal. Wie seid ihr letztes Jahr aus der BOKX herausgekommen?“ Also langsam nervte Kalle sie. Warum musste er immer so komische Fragen stellen. Aber weil sie keinen Streit wollte, überlegte sie.

„Wilhelm und ich wussten nicht, wie wir rauskommen sollten. Und darum hatte Wilhelm mir aus „Nils Holgersson“ vorgelesen.“ „Ganz genau, und was passierte dann?“ Mia gab sich wirklich alle Mühe, aber Kalle konnte doch nicht erwarten, dass sie sich an alles erinnern konnte. Er war wirklich anstrengend! Und plötzlich wusste sie es wieder. Ganz aufgeregt sagte sie: „Es wurde immer heller, so wie der Lichtstrahl eben. Und als es nicht mehr heller ging, standen wir wieder auf dem Bürgersteig.“ Sollte das die Magie des Schrankes sein? „Ja, ja und nochmals ja!“ Kalle war ganz aus dem Häuschen. „Also dann ist das Licht daran schuld, dass wir aus den Büchern gekommen sind? „Nein, Mia! Das Vorlesen ist der Schlüssel.“ „Kalle, du hast einen Knall! Lesen kann doch kein Schlüssel sein. Es sei den du meinst den Notenschlüssel.“ Das man einen Notenschlüssel lesen konnte, wusste Mia aus ihren Flötenstunden. Ihre Lehrerin wollte immer wissen, was für ein Notenschlüssel am Anfang der Stücke stand.

„Mia, mit Schlüssel meine ich, dass er uns hilft beim Lösen des magischen Rätsels“, sagte Kalle in einem belehrenden Ton. „Wenn Du so oberschlau bist, dann erkläre es mir endlich!“ antwortete Mia und sah Kalle mit funkelnden Augen an. Da Kalle Mia inzwischen gut genug kannte, wusste er, dass er ihr es jetzt erklären musste. Sie war halt keine Meisterdetektivin wie er selbst. Er war sich sicher, dass sie es rausgefunden hätte, wenn sie ein wenig länger nachgedacht hätte. Aber so waren kleine Mädchen nun mal. Sie wollten immer alles sofort haben und Geduld war ein Fremdwort für sie. „In Ordnung, ich erkläre es dir.“ Sie gingen ganz nah an den Rand des Regales und setzten sich. Erwartungsvoll schaute Mia zu Kalle. „Also, ich denke, dass das Lesen entscheidend ist. Ihr seid letztes Jahr aus dem magischen Schrank gekommen, als Wilhelm angefangen hatte dir vorzulesen. Und vorhin als ich dir aus Pippi Langstrumpf vorgelesen habe, waren wir mit einem Mal im Garten der Villa Kunterbunt.“ Jetzt wo Kalle es sagte, fielen bei Mia die Groschen. „Genau, du hast Recht, denn als wir wieder aus dem Buch rauswollten und nicht wussten wie, hast du mir wieder vorgelesen. Und dann kam der Lichtstrahl und wir waren wieder hier.“ Wieder dachte Kalle, dass Mia für ihr Alter doch ziemlich schlau und clever war. Hätte sie doch bloß ein wenig mehr Geduld.

Ganz vertieft in ihren Gedanken saßen sie da, als sich die gegenüberliegende Seite des Bücherschrankes öffnete. Eisiger Wind blies in den Schrank. Kalle konnte sich noch so gerade halten, aber die Böe erfasste Mia. Mia sah entsetzt den Regalrand auf sich zukommen. Nur noch ein kleines Stück und sie würde vom Regal geweht. Konnte Kalle ihr nicht helfen? Was sollte sie nur tun? Der Rand kam immer näher und ihre Angst wurde immer größer. „Hilfe, Kalle hilf mir! Bitte! Ich kann mich nicht mehr halten.“ Aber Kalle konnte ihr in diesem Augenblick nicht helfen, da er selbst damit kämpfte auf dem Regal zu bleiben. Und dann passierte es. Kalle sah Mia vom Regal verschwinden. Nein, dass durfte einfach nicht sein! Er musste ihr helfen. Hoffentlich war ihr nichts passiert, Das würde er sich nicht verzeihen. Zwei Mädchen in Lebensgefahr war einfach zuviel, selbst für einen Meisterdetektiv. Außerdem hatte er Mia inzwischen richtig ins Herz geschlossen trotz ihrer nervigen Art, die sie manchmal an den Tag legte. So schnell wie die Bö gekommen war, war sie auch schon wieder vorbei.

So schnell wie er konnte rannte Kalle in Richtung Regalrand. Kurz vorher stoppte er und legte sich auf seinen Bauch. Ganz vorsichtig robbte er vorwärts. War Mia in Ordnung? Er hatte Angst davor, was er sehen würde. Jetzt hatte er den Rand fast erreicht. Er schloss seine Augen und schob seinen Kopf über den Rand. Er wusste, dass er seine Augen aufmachen musste, aber er wollte nicht. So blinzelte Kalle zunächst mit seinem linken Auge, auf dem er schlechter sah. Atmete noch einmal tief durch und riss dann sein rechtes Auge auf. Und sah Mia, die ihm vergnügt zuwinkte. Träumte er? Er kniff seine Augen noch einmal zu, öffnete sie zum zweiten Mal und sah immer noch eine Mia, die ihm vergnügt zuwinkte. Erst jetzt sah er, dass Mia auf ein sehr dickes Buch gefallen war, dass bis zur Glasscheibe reichte. So viel Glück konnte man doch gar nicht haben, aber vielleicht hatte ja auch die Magie des Bücherschrankes eine Rolle gespielt.

„Kalle, komm runter!“ „Mia, dass geht nicht. Das Buch ist so hoch, dass wir nicht weiterlaufen könnten.“ Vorsichtig schaute Mia am Buch runter und musste sich schon wieder eingestehen, dass Kalle Recht hatte. „Und wie soll ich wieder zu dir hochkommen?“ Gute Frage, aber ihm würde schon etwas einfallen. Als erstes streckte er seinen Arm runter. Vielleicht konnte Mia ja seine Hand erreichen. Doch dieser Plan funktionierte nicht. Aber es fehlte nur ein kleines Stück. Also musste er sich etwas anderes ausdenken. Vielleicht würde es gehen, wenn er seinen Gürtel nahm. So ließ er den Gürtel mit der Gürtelschnalle voran runter.  Mia packte die Schnalle und ganz langsam mit viel Kraft zog Kalle sie wieder auf das Regalbrett.

Da sie so ein Abenteuer nicht wieder erleben wollten, suchten sie einen windgeschützten Platz. Ein paar Bücher weiter war ein Buch rausgezogen. Wenn sie sich dahinter setzten, wäre das Buch eine Wand und sie wären in Sicherheit. Gesagt, getan! Als sie an diesem sicheren Ort saßen, kamen sie auf das Rätsel der Magie zurück. „Du Kalle, da ist etwas, was ich nicht verstanden habe.“ „Und was genau meinst Du?“ „Welche Rolle spielt das Licht und der Lichtstrahl?“ Da hatte Kalle auch schon drüber nachgedacht und er hatte auch eine Theorie, die er aber nicht beweisen konnte. Aber musste das sein? Eigentlich nicht, denn sie waren ja nicht in einem Forschungslabor und wollten auch nicht den Nobelpreis gewinnen. „Also ich glaube, dass das Licht oder der Lichtstrahl die wirkende Magie ist.“ „Äh?“ „Na, ich meine, dass jedes Mal, wenn die Magie aktiv ist, sieht man das Licht.“ So richtig verstanden hatte Mia ihn nicht, aber sie wollte nicht schon wieder, dass Kalle sie für blöd hielt. Also hielt sie ihren Mund. „Also kommst du nur wieder in dein Buch, wenn es jemand vorlesen würde?“ „Ja, ich glaube, dass es so funktioniert.“ Wieder schwiegen beide und dachten nach. Es hörte sich so einfach an, aber es gab noch so viele Probleme, die sie lösen mussten. Ach, wäre doch nur jemand da, der weiterhelfen könnte. Zum wiederholten Male sagte Mia: „Ich wünschte Wilhelm wäre hier. Er wüsste, was wir als nächstes machen müssten.“ „Dazu brauchen wir Wilhelm nicht. Als nächstes müssen wir mein Buch finden.“ Wie sollten sie es nur finden?

Wieder wurde der Bücherschrank auf der anderen Seite geöffnet. Sie hörten, wie jemand ein Buch herausnahm und es wieder hineinstellte. „Stell dir vor Kalle, es käme jemand nähme dein Buch aus dem Schrank und würde es hier bei uns wieder hineinstellen.“ „Das wäre super! Aber wir hatten schon so viel Glück, dass ich nicht glaube, dass es wieder passieren würde.“ „Und wenn es gar kein Glück war, sondern die Magie des Bücherschrankes?“ Kalle schüttelte nur seinen Kopf, dass konnte er sich einfach nicht vorstellen. Er hatte zwar angefangen an Magie zu glauben, aber irgendwo hatte auch diese ihre Grenzen. Und selbst wenn jemand ihnen das Buch direkt vor die Nase stellen würde, sie könnten es nicht lesen, da es viel zu groß wäre. Und selbst wenn es irgendwie kleiner werden würde, wer würde vorlesen? „Mia, wie gut kannst du schon lesen?“ „Noch nicht so gut. Leider! Ich dachte, dass ich ganz schnell lesen könnte, wenn ich erst in der Schule sei. Wir brauchen Wilhelm!“ Zum ersten Mal wünschte Kalle sich auch, dass Wilhelm da wäre. Denn Mias Lesekünste würden nicht ausreichen, um ihn zurückzubringen. Aber das sagte er nicht laut.

Und wieder wurde der Schrank geöffnet. Wieder hörten sie, wie ein Buch herausgenommen wurde. Anscheinend war derjenige sich nicht sicher, ob er das Buch nehmen sollte. Denn er ließ die Türe offen und schlug das Buch auf. Da hörten sie es: „Mom ö ror dod e ror“ Kalle erstarrte und auch Mia schaute erschrocken. Sie hatte es verstanden, denn Kalle hatte ihr ja die Räubersprache beigebracht. Das musste Eva-Lotta sein. Kalle war am Verzweifeln, aber im Moment konnte er ihr noch nicht helfen. „Halte durch, Eva-Lotta, halte durch!“, schrie er voller Verzweiflung.  Das Buch wurde zugeschlagen und die Schranktür geschlossen. Und als Kalle dabei war, alle Hoffnung aufzugeben, jemals in sein Buch zurück zu kommen, öffnete sich der Bücherschrank auf ihrer Seite und ein gelbes Buch wurde auf ihr Regalbrett gestellt.

„Kalle, dass Buch ist gelb. Genau wie deins.“ Mia war ganz aufgeregt, aber Kalle glaubte nicht an dieses Wunder. Doch Mia gab keine Ruhe. So gingen sie schließlich zu dem Buch. Kalle nahm seine Lupe und fing an zu lesen: „Astrid Lindgren“. Sollte es wirklich sein Buch sein. Er wagte es nicht weiter zu lesen. Aber Mia quengelte, dass er doch endlich weiterlesen sollte. So lass er weiter: „Kalle Blomquist“. „Kalle, wir haben es gefunden!“ Kalle konnte es nicht glauben. Jetzt in diesem Moment war er davon überzeugt, dass es Magie gab. Auch wenn man es nicht beweisen konnte. Sie existierte wahrhaftig.

„Wir brauchen jemanden, der uns verrät, wie wir das Buch kleiner bekommen. Und jemanden, der mich in das Buch lesen kann. Hast du eine Idee, Mia?“ Mia überlegte: „Wir brauchen also jemanden, der was von Magie versteht und uns verraten kann, wie wir Wilhelm finden können.“ Sie dachte so angestrengt nach. Ihre Mutter und Susan hatten sich doch neulich über das Buch gesprochen, wo diese komische Schale vorkam. Dabei hatten sie auch den Namen genannt von demjenigen, dem die Schale gehörte. Wie war bloß nur noch der Name. Er klang so vertraut in ihren Ohren. Natürlich! „Wir müssen zu Dumbledore“ „Muss man den kennen?“ „Weiß ich nicht, ist aber auch egal. Wir müssen zu ihm! Er wird uns helfen.“ „Und wie finden wir den Herrn?“ Mia hatte mitbekommen, wie ihre Mutter sagte, dass sie die Bücher von Harry Potter einfach mochte. „Komm Kalle, wir müssen ein Harry Potter Buch finden. Kalle fragte lieber nicht, wer das schon wieder sei, aber da Mia so überzeugt war, folgte er ihr.