Schriftrolle und Limonadenbaum

Wilhelm hatte nicht mitbekommen, dass sich das Buch um die Tür verändert hatte, nach dem er seinen Wunsch „bei Pippi Langstrumpf zu sein“ ausgesprochen hatte. Nun trat er durch die Tür und hoffte, dass es sicher, warm und freundlich war, dort wo auch immer er gelandet war.  Als erstes sah er einen sehr hellen Lichtstrahl aufblitzen, der sofort wieder verschwand. Was war das gewesen? Vielleicht war Mia auch gerade hier? Wilhelm wurde ganz aufgeregt. Hektisch schaute er sich um, ob er ohne Gefahr mal rufen könnte. Fast flüsternd rief er: „Mia“. Er lauschte. Aber außer dem Wind, der warm über ihn herüberstrich und ein paar Vögel konnte er nichts hören. Ein Versuch war es wert gewesen.

Also schaute er sich erstmal um. Er war offensichtlich in einem großen Garten gelandet und es war Sommer, denn alles war grün und in Blüte. Und im Garten stand ein etwas heruntergekommenes Haus, das sehr bunt angemalt war. „Die Villa Kunterbunt?!?“, rief er vor lauter Aufregung. Was für ein Zufall oder hatte es etwas mit seinem Wunsch zu tun, dass „Pippi Langstrumpf“ direkt neben dem „Sommernachtstraum“ stand. Aber sein Wunsch war in Erfüllung gegangen.

Es schien alles still zu sein. Vermutlich war Pippi Langstrumpf entweder gerade beim Zirkus, in der Schule oder sogar auf Taka-Tuka-Land.  Sie hatte immer so verrückte Ideen. Das hat seine Frau immer so an ihr gemocht, und sie war mit Sicherheit nicht die Einzige. Er lächelte bei dem Gedanken, dass Pippi nach dem Spunk gesucht hatte. Bei ihren Abenteuern waren Thomas und Annika immer mit dabei. Das Pferd sah er nicht auf der Veranda.  Aber das hatte nichts zu sagen, denn Pippi nahm es ja auch mit ins Haus. Er war so hin und hergerissen, ob er ins Haus gehen sollte oder nicht. Hier draußen war er zu sehr auf dem Präsentierteller. Die Villa Kunterbunt lag am Rande der kleinen Stadt und viele Leute aus der Stadt liebten es, hier spazieren zu gehen, so hatte es Astrid Lindgren geschrieben. Wenn er aber reinging, dann würde er irgendwie in der Falle sitzen, sollten Pippi mit Annika und Thomas zurückkommen. Aber er musste einfach mal in Ruhe nachdenken. So entschied er sich hinein zu gehen. Er klopfte an die Tür, lauschte und wartete, ob jemand kam. Als nichts geschah, öffnete er die Tür und ging hindurch. Was für ein Durcheinander. Aber was hatte er erwartet. Es war genauso wie es im Buch stand, und war typisch für die Villa Kunterbunt, oder besser gesagt für Pippi Langstrumpf. Er stand in der Küche. Mitten in der Küche befanden sich ein Tisch und vier Stühle. Wilhelm dachte, dass er sich genau dort hinsetzen könnte, um sich auszuruhen und nachzudenken.

Er setzte sich auf einen der Stühle, nahm seinen Lederbeutel und schaute hinein. Er war sehr erfreut, dass das Brot und der Käse aus dem Mittelalter in das moderne Schweden mitgekommen waren. Im Garten hatte er Obstbäume gesehen. Vielleicht pflückte er sich später einfach noch ein paar Früchte. Schließlich holte er die Schriftrolle und das kleine Pergament mit dem Rätsel heraus. Es war höchste Zeit, dass er hinter das Geheimnis der Schriftrolle kam. Was genau schrieb die Schriftrolle auf? Sie verhielt sich ganz ganz anders als letztes Jahr. Wie gesagt, er war genervt vom Rätselhaften der Magie. Langsam rollte er die Schriftrolle aus. Als erstes bemerkte er, dass die Schrift viel größer war als am Anfang. Das fand er seltsam, und auch wenn er die Schrift jetzt viel besser lesen konnte, war er nicht sicher, ob das was Gutes zu bedeuten hatte oder nicht. Laut und langsam las er sich vor: „das Spiel, wo es verboten war, den Boden zu berühren, spielen. im Bücherschrank. Garbadine-Hose. Diagonalgewebe mit Steilkörpergrat Kette etwa doppelt so dicht wie Schuss. Kalle helfen. was zu essen. Essen mitnehmen. Wie kommen wir darüber? einen ganzen Beutel voller Goldtaler. Warum hieß Michel aus Lönneberga auf Deutsch Michel und nicht Emil wie in Schweden? ein Kissen und eine Decke. Was wir jetzt tun müssen? Schriftrolle genauer erklären. wie das Pulver hieß? Zettel mit dem Stein unter dem hohlen Baum finden. bei Pippi Langstrumpf.“

 

Wilhelm schüttelte den Kopf. Was hatte das alles zu bedeuten. Klar war, dass diese ganzen Sätze und Worte zwei Quellen hatten. Die eine Quelle war er und die andere, so vermutete er, war Mia. Da er nichts zu schreiben hatte, versuchte er es gedanklich, die Worte zuzuordnen. „im Bücherschrank, was zu essen, Essen mitnehmen, einen ganzen Beutel voller Goldtaler, ein Kissen und eine Decke und bei Pippi“, zählte er auf, „das waren meine Wünsche, die in Erfüllung gegangen sind. Dann ist der Rest von Mia“ Ach ja, außer diese komische Definition der Garbadine Hose, die kam aus dem einen Lexikon und ich hatte mir irgendwie gewünscht, dass sie aufgeschrieben wird.“ Dann las er nochmal laut vor: „das Spiel, wo es verboten war, den Boden zu berühren, spielen“. Das hörte sich an, als ob Mia sich dahin gewünscht hätte und das war definitiv eine Stelle aus dem Buch von Pippi Langstrumpf. „Garbadine Hose, Kalle helfen, Wie kommen wir darüber? Michel aus Lönneberga auf Deutsch Michel und nicht Emil wie in Schweden? Was wir jetzt tun müssen? Schriftrolle genauer erklären. wie das Pulver hieß? Wilhelm stutze auf einmal und setzte sich gerade hin und las weiter: „Zettel mit dem Stein unter dem hohlen Baum finden.“ Wilhelm sprang auf und rannte vor die Tür. Er hatte total vergessen, dass man ihn nicht entdecken durfte. Aber für ihn gab es nur noch ein Ziel. Er musste diesen Zettel finden und dieser war auf jeden Fall am Limonadenbaum, welchen er vorhin im Garten gesehen hatte. Es konnte nur die riesige hohle Eiche sein. Er stürzte so schnell er konnte zu dem Baum, schaute am Stamm runter und ging ganz langsam um ihn herum. Da sah er auf einmal den dicken Stein, unter dem ein Stück Papier hervorlugte. Er hob das Papier auf und da stand: „Liebr Wilem. Waren hier. Bite finde uns bald. Brauen dein Hife.“ Wusste, ahnte oder hoffte Mia, dass Wilhelm im offenen Bücherschrank war? Wie sollte er ihr helfen? Er wusste nur, dass sie kurz vorher hier am hohlen Baum gewesen war. Dann hatte er offensichtlich das Licht gesehen, welches Mia und einen Kalle wieder aus dem Buch geführt hatte. Er ging zurück ins Haus und schnappte seine Sachen. Er schaute sich um, wie sollte er jetzt eine Tür finden, die ihn aus dem Buch wieder hinausließ. Ihm fiel nichts Besseres ein als einfach jede Tür auf seinem Weg zu öffnen und zu hoffen, dass er die richtige Tür schnell finden würde.

Hinter der ersten Tür im Haus war nur ein leerer Raum, in dessen Mitte eine Kommode mit vielen Schubladen stand. Er schloss sie wieder und öffnete die nächste Tür. Hier befand sich ein großes Bett. Das war also Pippis Schlafzimmer. Doch plötzlich hörte er Stimmen und Panik übermannte ihn. Er durfte nicht gesehen werden. So ging er in das Schlafzimmer hinein und schloss so leise wie möglich die Tür. Die Stimmen kamen näher und wurden lauter. Zu seinem Glück war das Fenster geöffnet. So könnte er rausklettern, ohne dass er etwas verändern musste. Was er nicht alles tat auf seine alten Tage! Es war so ein Fenster, das man hochschob. Vorsichtig und leise hievte er sein linkes Bein über den Fenstersims. Jetzt saß er auf dem Sims wie auf einem Pferd. Er hob das andere Bein ebenfalls drüber. Jetzt wurde es schwierig, denn er musste seinen Oberkörper unter dem hochgeschobenen Fenster durchquetschen. Das sah bestimmt alles sehr lächerlich aus. „Warum nur?“, fragte er verzweifelt, „wäre ich doch einfach zu Hause geblieben. Ich bin echt zu alt für solche Kletteraktionen.“ Er beugte seinen Oberkörper ganz tief, strich mit dem Kopf von unten am Fensterrahmen vorbei und war draußen. Mit einem kleinen Satz sprang von dem Sims und drückte sich an die Hauswand. Das war echt knapp, denn die Tür zum Schlafzimmer ging auf und er hörte die Kinder laut reden. Er drückte sich an der Hauswand entlang bis zur Ecke und rannte zum Gartentor.

Dann ging er so normal wie möglich die Straße entlang. In der Hoffnung, dass er nicht auffiel. Wie kam er denn nun in den Bücherschrank zurück? Letztes Jahr hatte er Mia vorgelesen, aber dieses Jahr standen keine Geschichten auf der Schriftrolle. Er lief langsam die Straße weiter. Als die Villa Kunterbunt aus dem Sichtfeld war, setzte er sich auf eine Parkbank am Wegesrand und schaute sich nochmal die Schriftrolle an. Mia konnte offensichtlich irgendwie mit ihm über die Schriftrolle sprechen, aber sie wusste es nicht, aber er hatte keine Ahnung, wie er sich mit Mia verständigen konnte? Was musste er sagen, damit seine Wünsche in Erfüllungen gehen? Er schloss die Augen.