Die Magie der BOKX

Da waren Mia und Kalle also wieder. Zurück in der magischen BOKX und sie waren keinen Schritt weiter. Beide setzten sich an den Rand des Regalbrettes. Draußen war es dunkel und man konnte nichts mehr erkennen. Natürlich war Kalle enttäuscht, denn er hatte sich so viel davon versprochen. Und dass die Jungs gute Detektive waren, hatte er daran fest gemacht, dass ihr Organisationstalent einfach großartig war. Aber was nützte ihm das, wenn er nicht mit ihnen sprechen konnte. Würde das immer so sein, wenn sie ein Buch betraten oder bestand ein wenig Hoffnung darauf, dass sie auch mal mit jemanden reden könnten? „Sag mal, Mia“ fing er vorsichtig an. Mia drehte sich zu ihm und er sah, dass sie wieder geweint hatte. Warum mussten Mädchen bloß so viel heulen? Er war heilfroh, dass Eva-Lotta weit davon entfernt war, aber sie war ja auch Mitglied der „Weißen Rose“. Als Mia ihn jetzt ansah, musste er grinsen, denn für ihr Alter war Mia schon ganz schön mutig und clever. Da war es dann auch nicht so schlimm, wenn sie ab und zu mal heulte. Außerdem hatte er selbst einen dicken Kloß im Hals „Was ist los?“

„Ich musste gerade an das letzte Jahr denken, als ich mit Wilhelm im magischen Bücherschrank war. Es war so anders. Wir konnten mit den Menschen in den Büchern reden. Zum Beispiel mit Nils Holgersson. Habe ich Dir erzählt, dass wir ein Stück mit Nils und den Wildgänsen mitgeflogen sind?“ „Nein, davon hast du mir noch nichts erzählt.“ Ohne dass er gefragt hatte, beantwortete Mia seine Frage. Jetzt kam es darauf an heraus zu finden, wann das möglich war. „Ich wünschte Wilhelm wäre hier, der wüsste bestimmt, was wir jetzt tun müssten.“ Konnte Mia neuerdings Gedanken lesen oder war es einfach nur so, dass sie Beide wussten, dass die Zeit knapp wurde. „Mia, könntest du mir noch mehr von eurem Abenteuer im letzten Jahr erzählen?“ „Es war ganz viel Magie da. Wir hatten eine Schriftrolle, auf der Wilhelm immer gelesen hatte, wo wir uns gerade befanden. Ich wünschte er könnte es dir genauer erklären. Es war einfach toll. Ich kann es dir gar nicht richtig sagen.“ „Versuch es doch einfach, ich höre Dir zu.“

So fing Mia an Kalle vom letzten Jahr zu erzählen. In ihrer Aufregung passierte es ihr immer wieder, dass sie Bücher verwechselte oder Personen irgendwo auftauchten, wo sie gar nichts zu suchen hatten. Sie erzählte davon, wie sie der Herzkönigin ihre Halskette geschenkt hatte. Damit hatte sie Wilhelms und ihren Kopf gerettet. Aber auch Wilhelm war Retter in Not gewesen. Er hatte die Wildgänse vor Smirre, dem Fuchs gerettet. Als Dank durften sie dann ein ganzes Stück mit Nils Holgersson und den Wildgänsen mitfliegen. Mia war gar nicht mehr zu stoppen. Sie erzählte mit so einer Begeisterung, dass beide ganz die Zeit vergaßen. Das sie Dumbledore getroffen hatten und in seinem Auftrag ein Ei und ein Buch zu Bilbo Beutlin brachten. „Wir sind mit einem komischen Pulver gereist. Aber der Name fällt mir nicht mehr ein. Ich wünschte Wilhelm wäre hier. Der könnte uns sofort sagen, wie das Pulver hieß.“

„Du wünschst dir ja ganz schön oft, dass Wilhelm hier wäre.“ Mia schaute mit erstaunten Augen an. Was hatte Kalle denn jetzt schon wieder? „Aber natürlich wünsche ich mir, dass Wilhelm hier wäre. Man kann ihn alles Fragen und bekommt fast immer eine Antwort. Papa hat schon gesagt, dass Wilhelm ein wandelndes Lexikon sei. Außerdem ist er im letzten Jahr so etwas wie ein Opa für uns geworden!“ Kalle war zwar der Meinung, dass das nicht gehen würde, aber er sagte es lieber nicht laut.

„Und wie seid ihr dann wieder aus dem Schrank gekommen?“ Das wollte Kalle jetzt ganz genau wissen. Vielleicht könnte er ja genauso in sein Buch zurück. Mia dachte einen Moment nach. Es war so kompliziert zu erklären. Aber sie wollte es versuchen: „Wir wussten nicht, wie wir rauskommen sollten. Ich wollte nach Hause zu Mama und Papa. Und als wir gar nicht mehr weiter wussten, hat Wilhelm mir vorgelesen. Wilhelm liest ganz großartig vor. Vielleicht kann er dir ja auch mal vorlesen?“ Also das ging Kalle nun entschieden zu weit. Schließlich hatte er ja wegen der Schule keine Zeit seinen Pflichten als Meisterdetektiv nachzukommen. Wenn er was konnte, dann lesen. Er hatte schon alle Bücher über Sherlock Holmes gelesen und auch die von Miss Marple. Aber wieder hielt er lieber den Mund. Er wollte keinen Streit mit Mia riskieren.

„Und während Wilhelm vorlas, wurde es immer heller und heller. Wilhelm las weiter, und mit einem Mal standen wir beide wieder vor der BOKX. Das war Magie. Wilhelm und ich hatten uns dann für den 1. Dezember im nächsten Jahr wieder vor der BOKX verabredet. Doch als es jetzt soweit war, wollte Wilhelm nicht mehr. Er hat gesagt, dass so was nur einmal im Leben passieren würde. Dann bin ich allein zur BOKX gelaufen und war plötzlich im Schrank. Ich weiß nicht warum! Aber wenn ich ehrlich bin, wünsche ich mir, dass Wilhelm es sich doch anderes überlegt hat. Stell dir mal vor, dass er vielleicht schon in diesem Moment im Schrank nach mir sucht.“ „Würde Wilhelm denn wissen, wo er dich suchen sollte. Ich meine ja nur. Der Schrank ist riesig.“

Das stimmte und daran hatte Mia noch gar nicht gedacht. Da fielen Mia die Bücher wieder ein, die sie mitgenommen hatte. Sie hatte doch Wilhelm gesagt, dass sie unbedingt zu Ronja, Räubertochter wollte. Und vor allem hatte sie sich so sehr gewünscht Pippi zu besuchen, um die Limonade im Limonadenbaum zu probieren. „Kalle, er weiß, dass ich unbedingt in zwei Bücher wollte, wenn ich im Schrank bin.“ „Lass hören! Welche Bücher sind es?“ Mia nahm ihren Rucksack und holte die beiden Bücher heraus.

„Da steht ja auf beiden Büchern schon wieder Astrid Lindgren. Scheint ja viel geschrieben zu haben? Dann lass mal sehen: „Ronja, Räubertochter“, das kenn ich nicht. Noch nie was davon gehört. Und wie heißt das zweite Buch? „Pippi Langstrumpf“.“ Mia wusste sofort, dass Kalle das Buch kannte. Er schaute es an, als ob er nach langer Zeit einen guten Freund wiedergefunden hätte. „In dem Buch geht es doch um ein Mädchen, dass ganz allein in der Villa Kunterbunt lebt, oder? Hatte sie nicht einen Affen und ein Pferd“ „Ja, genau! Der Affe ist Herr Nilsson und das Pferd heißt Kleiner Onkel.“ Mias Augen strahlten. „Weißt du, welches meine Lieblingsstelle ist?“ Kalle überlegte „Vielleicht die Stelle, wo die Räuber in die Villa Kunterbunt einbrechen?“ „Nein!“ „Dann ist es die Stelle, wo Pippi die Süßigkeiten kauft!“ Denn das war Kalles Lieblingsstelle gewesen, als seine Eltern ihm das Buch vorgelesen hatten. Aber wieder kam ein klares „Nein“ von Mia. „Sag schon, was ist denn nun deine Lieblingsstelle?“ „Wo der Limonadenbaum beschrieben wird. Ich würde so gerne mal Pippi besuchen und selbst nachschauen, ob da wirklich Limonade in dem Baum wächst.“ „Ja, das wäre bestimmt klasse! Aber wir haben keine Zeit. Wir müssen endlich mein Buch finden!“

Und schon war die ganze Freude wieder dahin. Vielleicht sollte es dieses Jahr einfach nicht sein. „Kalle, wenn wir im Moment nicht weiterwissen und mein Wunsch, dass Wilhelm hier wäre, sich wohl nicht erfüllt, können wir dann nicht eine kleine Fantasiereise machen?“ „Eine Fantasiereise? Was war das denn schon wieder? Könntest du mir vielleicht erklären was du meinst?“ „Kannst du mir nicht einfach ein wenig aus Pippi vorlesen und wir tun so, als ob wir da wären.“ „Warum eigentlich nicht? Gib mir das Buch.“ „Kalle, da ist aber noch ein kleines Problem“ „Und das wäre?“ Mia wollte nicht mit der Sprache rausrücken, aber schließlich sagte sie ganz leise: „Das Buch ist auf deutsch“. Man konnte Kalle die Enttäuschung ansehen, da er definitiv kein Deutsch konnte. So nahm er „Pippi Langstrumpf“ in die Hand und schlug es auf. Aber was war das. Er wusste gar nicht, dass Schwedisch und Deutsch sich so ähnlich waren. Er überflog den ersten Absatz und meinte dann: „Mia, das Buch ist auf schwedisch!“ Das war unmöglich. Sie wusste ganz genau, dass sie die deutsche Ausgabe mitgenommen hatte. Denn es war die Ausgabe mit dem blauen Umschlag. „Zeig her!“ Aber Kalle hatte vollkommen Recht. Es war die schwedische Ausgabe. Hatte Leon mal wieder die Umschläge vertauscht? Das machte er immer, wenn er sie ärgern wollte. Im Moment war es ihr aber vollkommen egal. Kalle sollte einfach nur lesen.

„…tranken dort Kaffee. Oder sie kletterten auch auf die alte Eiche, die innen ganz hohl war, so dass man in den Stamm…“ Und während Kalle las, passierte etwas ganz Merkwürdiges. Mit einem Mal befanden sich Mia und Kalle tatsächlich im Garten der Villa Kunterbunt. Was war passiert. Kalle hatte das Gefühl, dass er der Lösung seines Problems einen gewaltigen Schritt nähergekommen war. Aber er konnte es noch nicht so richtig fassen. Und für Mia war ein Traum in Erfüllung gegangen. Sie suchte den ganzen Garten nach der hohlen Eiche ab. Da stand sie, genauso wie im Buch beschrieben. Schnell wie der Wind war sie die Eiche hochgeklettert. Und die Leiter befand sich auch dort. Geschwind stieg sie die Leiter hinab und fand tatsächlich Limonade unten im Baum. Durch den Spalt rief sie Kalle und fragte ihn, ob er auch Limonade haben wollte. „Ja, aber nur wenn es Zitronenlimonade ist!“

Kurze Zeit später stand sie wieder neben Kalle. „Können wir hier nicht warten, ob Wilhelm hierherkommt. Ich wünsche mir so sehr, dass er uns hier findet. Ja, hier könnte man es aushalten und bestimmt würde Pippi noch vorbeikommen. Es fiel Kalle schwer, dem Wunsch von Mia nicht nachzugeben. Aber er wusste auch, dass sie von Pippi keine vernünftige Antwort erwarten konnten. „Mia, es geht nicht! Wir wissen nicht, ob Wilhelm vorbeikommt. Wir wissen ja nicht einmal, ob er wirklich im Schrank ist. Und wir haben keine Zeit!“ Traurig nickte Mia, aber sie würde zurückkommen. Spätestens im nächsten Jahr. Das versprach sie sich selbst. Kalle sah das traurige Gesicht und überlegte. „Was hälst du davon, wenn wir eine Nachricht für Wilhelm hierlassen“ Mia war sofort Feuer und Flamme. „Aber wir haben nichts zu schreiben.“ Da hatte Kalle schon ein Stück Papier und einen Stift aus seiner Hosentasche geholt.“ Mia schrieb: „Liebr Wilem. Waren hier. Bite finde uns bald. Brauen dein Hife.“ Besser ging es nicht, schließlich war sie erst seit dreieinhalb Monaten in der Schule. Sie suchte einen großen Stein. Sie nahm ihn und legte ihn auf das Papier unter dem hohlen Baum. Mehr zu sich selbst, sagte sie noch:“ Ich wünschte, dass Wilhelm den Zettel mit dem Stein unter dem hohlen Baum finden würde.“

„Wie kommen wir jetzt wieder zurück?“ Völlig resigniert meinte Kalle, dass er ja erst mal weiterlesen könnte. Vielleicht kam ihnen ja eine Idee beim Lesen. Also fing Kalle an, und kaum, dass er anfing die ersten Worte zu lesen, spürten beide eine starke Kraft, die sie hinaus zog aus dem Buch. Sie nahmen gerade noch ein helles Licht war und dann standen sie schon wieder in der magischen BOKX.