Ritt mit Old Shatterhand

„Wer ist da im Gestrüpp.“, fragte eine laute Männerstimme. Die drei schreckten hoch und sahen sich gegenseitig angstvoll an.  Sofort führte Wilhelm seinen Zeigefinger vor den Mund, um zu bedeuten, dass sie auf jeden Fall keinen Mucks von sich geben sollten. Dabei überlegte er fieberhaft, was zu tun war. „Ich frage nochmal, wer ist dort in dem Zelt im Gestrüpp.“, die Stimme wurde lauter und ärgerlicher. Es gab irgendwie kein Entrinnen, also beschloss Wilhelm ganz vorsichtig den Reisverschluss zu öffnen. Er lugte vorsichtig hinaus. Er sah Stiefel und eine Lederhose. Als er den Reisverschluss weiter öffnete, blickte er auf ein Lederhemd mit Fransen und davor ein großes Gewehr. „Bitte nicht schießen.“, sagte Wilhelm leise. „Bitte nicht schießen.“, wiederholte er etwas lauter. Er blickte in das grimmige Gesicht eines weißen, großen Mannes. „Wie viele seid ihr, wo kommt ihr her und was macht ihr hier?“ Die Fragen kamen so schnell, dass Mia ganz verwirrt wurde.

Von innen antwortete Mia weinerlich: „Wir sind zu dritt.“ Die anderen Fragen konnte sie jetzt so schnell nicht beantworten. Sie wusste einfach keine passende Antwort. Die drei konnten dem Mann ja schlecht sagen, dass sie in einem magischen Bücherschrank steckten und nun in diesem Buch mit seiner Geschichte gelandet seien. „Das ist ja eine Kinderstimme.“, seine Stimme klang sofort etwas milder. Wilhelm krabbelte langsam mit steifen Knochen aus dem Zelt. Die Kälte in der Prärie hatte ihm ganz schön zugesetzt und er sehnte sich noch mehr nach seinem Ohrensessel im warmen Wohnzimmer mit seiner Kuscheldecke. Kurz schoss ihm durch den Kopf, dass er doch verrückt sein musste, sich immer wieder auf diese Abenteuer einzulassen.  „Und ein alter Mann!“, rief der Fremde überrascht als sich Wilhelm aufgerichtet hatte. Er ließ das Gewehr sinken: „Ich frage jetzt erst recht. Woher kommt ihr? Was macht ihr hier?“ Seine Fragen klangen jetzt eher fürsorglich. Wilhelm dachte, dass der Fremde wohl begriffen hatte, dass von ihnen keine Gefahr ausging.

Wilhelm schüttelte sich kurz und bedeutete mit einer Handbewegung ins Zelt hinein, dass die beiden Kinder herauskommen sollten. „Mein Name ist Wilhelm“, sagte er, „und das sind Mia und Leon.“ Die drei standen mit gesenktem Haupt, fast ein bisschen wie begossene Pudel vor dem unglaublich großen Mann. „Gut, dann möchte ich mich selber kurz vorstellen: Man nennt mich Old Shatterhand. Ich bin auf dem Weg zum Pueblo der Apachen, um dort meinen Bruder Winnetou zu treffen.“ Leon riss seine Augen auf und schaute die beiden anderen in einer Mischung von Angst und Freude an: „Wir dürfen ihm doch nicht begegnen.“ Er bewegte den Mund eher, als dass er wirklich flüsterte. Wilhelm wurde das auch sofort bewusst und es brachte ihm kurz blankes Entsetzen in seinem Gesicht.  Sofort hatte er es wieder unter Kontrolle und sagte höflich „Guten Tag, Herr Old Shatterhand.“, und neigte leicht seinen Kopf.

„Also ich frage nochmal: „Wo kommt ihr her und was macht ihr hier mitten in der Prärie?“ Mia und Leon schauten etwas hilflos zu Wilhelm. Der sagte geistesgegenwärtig. „Wir kommen aus Gettysburg. Wie es der Zufall will, sind wir auch auf dem Weg zu dem Apachen Pueblo. Leider sind die Pferde mit unserer Kutsche durchgegangen.“, flunkerte er. „Seid ihr Sesessionisten?“ platzte es aus Old Shatterhand heraus, „dann möchte ich nichts mit Euch zu tun haben.“ Wilhelm antwortete selbstbewusst: „Nein, selbstverständlich nicht.“ „Gut“, sprach Old Shatterhand mit besänftigter Stimme. Leon beschloss, sich dieses Wort zu merken. Er musste später Wilhelm unbedingt fragen, was Sessessionisten waren. Lautlos formte er seine Lippen: „Se-sessio-nisten“. Ein sehr komisches Wort befand er. Leon trat mutig einen Schritt vor und sagte mit fester Stimme: „Ich habe Hunger!“

„Genau!“ erwiderte Old Shatterhand, „wir machen jetzt erstmal Frühstück und dann beratschlagen wir, wie ich euch helfen kann. Ihr könnt nicht den ganzen Weg zu Fuß gehen und mein Pferd kann uns nicht alle tragen.“ Während er zu seinem Pferd ging, gab er die Anweisung, Zweige und Äste für ein Feuer zu sammeln. Leon fing an kleine Hölzer zusammenzulegen und holte die Streichhölzer aus seiner Hosentasche. Die Hölzer waren so trocken, dass sofort ein kleines Feuer entstand. Stolz schaute er zu Mia und Wilhelm.

Mia beachtete ihn gar nicht, sondern sprudelte los: „Wilhelm, was machen wir den jetzt? Wie kommen wir hier weg? Was machen wir, damit er sich an nichts mehr erinnert? Und wenn wir das nicht schaffen, was passiert dann mit uns?“ Fragen über Fragen und keine Antworten. Leon, der zugehört hatte, warf ein, dass er das toll fand, Old Shatterhand getroffen zu haben. Jetzt konnte er ihn ja über seine Freundschaft mit Winnetou ausfragen. Seine Klassenkameraden würden staunen, wenn Leon ihnen von dem Treffen mit Old Shatterhand erzählte würde. „Mir gefällt das alles überhaupt nicht. Aber wenn ich mich hier so umschaue, bleibt uns erstmal nichts anderes übrig, als mitzuspielen, solange wir keine Antworten haben.“, schnaufte Wilhelm, während er Zweige und Äste vom Boden aufhob und in Leons Feuer schmiss. „Super dein Feuer.“ Old Shatterhand kam einem großen Lederschlauch Wasser, einem kleinen verbeulten Topf und ein paar Kartoffeln zurück. „Habt Ihr auch etwas zu essen dabei?“

„Ich schau mal nach.“, sagte Mia schnell und verschwand im Zelt. Sie nahm ihren Rucksack in die Hand und überlegte hin und her. Hatte der Rucksack jetzt noch Magie oder nicht. Was könnte sie sich denn zu essen wünschen? Was hatten die Menschen damals mit auf Reisen? Bestimmt keine Plastikdosen mit Apfelstückchen und Cashewkernen. „Ich hätte Wilhelm fragen sollen. Er hätte mir sicher helfen können.“, schimpfte sie leise vor sich hin. „Brot geht“, dachte sie. Sie drückte fest die Augen zu und sagte deutlich: „Ich wünsche mir Brot.“ Sie holte einen wundervoll riechenden Laib Brot aus dem Rucksack. Schnell krabbelte sie aus dem Zelt und zeigte stolz das Brot. „Na, das sieht ja herrlich aus. Wie habt ihr das so lange frisch gehalten.“ Old Shatterhand fing an mit seinem Messer Scheiben abzuschneiden. Wilhelm versuchte, ungezwungen zu wirken, als er sagte: „Ein Bäcker in Gettysburg hat ein neues Verfahren ausprobiert. Mehr weiss ich auch nicht.“ Schnell drehte er sich zu Leon, um das Thema zu wechseln. „Wie weit bist du mit dem Feuer?“, fragte er Leon, der sofort reagierte und betonte, dass es sehr gut brenne. „Wir können Wasser für Tee heiß machen. Habt ihr keine Becher mit auf eurer Reise?“ Old Shatterhand wirkte verwundert. Mia überlegte, ob sie ihr Glück bei ihrem Rucksack herausfordern wollte. Schnell kroch sie ins Zelt, wünschte sich drei Becher, die auch prompt im Rucksack zu finden waren. „Mmh, keine Playstation, aber Becher“, flüsterte sie nachdenklich vor sich hin.

Während sie alle ein bisschen Brot und einen heißen Tee zu sich nahmen, überlegte Old Shatterhand laut: „Ich werde losreiten, um Pferde für euch zu besorgen. Bitte versteckt euch solange in eurem Zelt. Wir werden mehr Zweige drauflegen, damit man es nicht sieht.“ Nach dem spärlichen Frühstück sammelten alle vier Zweige, Äste und Gestrüpp und platzierten sie auf dem Zelt. Nachdem sie das Feuer ausgemacht und die Spuren beseitigt hatten, sagte Wilhelm ein bisschen kleinlaut: „Herr Old Shatterhand, wir können nicht reiten. Bitte besorgen sie Pferde, die einfach zu reiten sind.“ „Ich werde sehen, was ich tun kann. Ich bin verpflichtet, Euch aus dieser misslichen Lage zu befreien.“ Er schwang sich auf sein Pferd und ritt im wilden Galopp davon. Auf einmal war es still. Schnell krabbelten die drei in ihr Zelt und fingen an, über das Erlebte zu sprechen. Wilhelm sagte: „Lasst uns mal auf die Schriftrolle schauen, ob da was geschrieben steht. Mia holte die Schriftrolle aus dem Rucksack und rollte sie auseinander. Dort stand in großen roten Buchstaben „Gefahr“. Was hatte das zu bedeuten?  Warum musste die Schriftrolle immer in Rätseln sprechen. Was für eine Gefahr war da?

Vor der BOKX standen immer noch Mama und Papa. Aufmerksam betrachteten sie die Bücher in der BOKX. Papa nahm ein Buch aus dem Schrank; „Guck mal, Susanne, das sieht wie mein altes Winnetou-Buch aus.“. Er öffnete langsam den Buchdeckel. „Das ist ja ein Ding. Da steht sogar mein Name.“ Er schaute sich das Buch vorne und hinten an, bevor er anfing darin zu blättern.

In der Prärie fing die Erde an zu beben. Die drei in dem Zelt hielten sich gegenseitig fest. Wie aus dem Nichts, fing ein schwerer Sturm an zu toben. Er kam wellenartig. Die drei wussten nicht, wie ihnen geschah. Sie konnten laute Angstschreie nicht mehr unterdrücken.  Dann wurde es auf einmal still.

Papa hielt inne bei Kapitel 5. Er konnte sich überhaupt nicht mehr erinnern, dass in Winnetou 2 Old Firehand vorkam. Er fing an, das Kapitel zu lesen.

Alle Zweige, Äste und Blätter waren vom Zelt weggefegt. Wilhelm sagte leise: „Das war wohl die Gefahr, die die Schriftrolle meinte. Das war ja nicht so schlimm.“ Wenn er sich da mal nicht täuschen sollte. „Jetzt hoffen wir mal, dass niemand kommt, der uns etwas Böses will.“ Es vergingen gefühlt Stunden bis sie Pferdegetrappel hörten. „Hoffentlich ist das Old Shatterhand“, sagte Leon angstvoll. Die drei blieben einfach ganz still. Dann hörten sie vertraute Stimme rufen. „Hey ihr drei, kommt raus. Ich habe Pferde für euch besorgt. Packt schnell zusammen, damit wir noch vor Sonnenuntergang im Pueblo der Apachen sind.

Old Shatterhand half ihnen allen drei mit einer Räuberleiter auf ihre Pferde und langsam ging es los. „Wichtig ist, dass ihr gerade auf dem Pferd sitzt, sonst ist es sehr anstrengend.“ „Das ist es sowieso“, dachte Wilhelm erschöpft.

Auf einmal schrie Papa laut auf.“Susanne, ich kann es nicht glauben, weißt du, was hier steht.“ Er fing an laut vorzulesen: „Dann ritt ich gemeinsam mit meinen neuen Freunden Mia, Leon und Wilhelm nach dem Rio Pecos, um das Apachen-Pueblo aufzusuchen.“ Papa wurde ganz bleich im Gesicht und schlug vor Schreck das Buch heftig zu.

Ein lauter Knall ließ die vier aufschrecken. „Springt von euren Pferden und legt euch auf den Boden.“, rief Old Shatterhand. Die Kinder folgten sofort der Anweisung, aber Wilhelm entschied, dass Springen vielleicht nicht die passende Bewegung für ihn wäre. So rutschte er langsam von seinem Pferd und sank zu Boden. „Ich war rekognoszieren. Dieser Schuss muss von weither gekommen und durch die Berge sehr laut geworden sein. Ich kann nichts auffälliges sehen.“ Old Shatterhand hielt, während er das sagte, Mia seine Hände ihn, damit sie wieder aufsteigen konnte. „Herr Old Shatterhand, was bedeutet rekognoszieren?“ fragte Leon. Hahaha, lachte Old Shatterhand auf, immer diese Städter. In der Stadt muss man natürlich nicht rekognoszieren, dann kennt man das Wort auch nicht. „Es bedeutet beobachten und erkennen, junger Mann.“

„Mir tut mein Po weh.“, jammerte Mia leise vor sich hin, nachdem sie stundenlang geritten waren. Old Shatterhand drehte sich um und sagte: „Das ging mir Anfang auch so, alle haben mich Greenhorn genannt. Keine Sorge, es wird besser.“ Leon und Wilhelm ging es überhaupt nicht besser und so fragte Wilhelm vorsichtig: „Wie lange ist es noch bis zum Pueblo der Apachen?“ Wir sind vor Sonnenuntergang dort. Mit einem leisen Stöhnen schaute Wilhelm zum Himmel. Die Sonne stand doch noch ziemlich hoch.

Tatsächlich war der letzte Streifen der Sonne gerade noch am Horizont zu sehen, als plötzlich ein Indianer vor ihnen auftauchte. Old Shatterhand erhob seine Hand und sprach: Sei gegrüßt, Weiser Adler. Der Indianer strahlte ihn an und antwortete:“Sei du auch gegrüßt. Bruder Winnetous und Freund der Apachen. Dann sprach er in einer Sprache weiter, die Mia, Wilhelm und Leon nicht verstanden. Old Shatterhand antwortete ihm. Die drei hörten nur ihre Namen und den Namen Winnetou. Leon wurde ganz unruhig. Würde er Winnetou jetzt auch noch treffen?  Bevor er fragen konnte, fühlte er plötzlich etwas an seinem Bein. Jemand berührte ihn. Reflexartig zog er sein Bein nach oben und schaute erschrocken nach unten.  Er sah einen Jungen, der aufmerksam seine Sneakers inspizierte. Er sprach Leon strahlend an und zeigte auf die Schuhe. Leon verstand kein Wort, aber antwortete einfach mal: „Sneakers“ Wilhelm schaute ihn mit bösem Blick an. „Wir dürfen nicht so viel von uns verraten, wir kennen die magische Regel und ihre Konsequenzen nicht. Ich hoffe die Schriftrolle wird uns helfen. Wir schauen später nach, wenn wir alleine sind.“, zischte er Leon zu.

Old Shatterhand erklärte ihnen, dass die Familie von Flinker Biber, dem Jungen, der gerade die Schuhe von Leon inspizierte, die beiden Kinder bei sich aufnehmen würden. Wilhelm als alter, weiser Mann würde eine Bleibe für sich alleine bekommen. Er fügte noch hinzu: „Die Apachen sind sehr gastfreundlich. Zu unseren Ehren wird ein Fest gegeben.“

Flinker Biber nahm die Zügel von Mias und Leons Pferden, die hinter dem Jungen her trotteten. Zwischendurch drehte er sich immer wieder um und strahlte über das ganze Gesicht. Wilhelm wurde von Weiser Adler zu einer kleinen Hütte geführt. Der Indianer zog anschließend mit dem Pferd von dannen. Alleine in der Hütte, schaute sich Wilhelm um. Diese Hütte war für seine Verhältnis spartanisch eingerichtet, aber trotzdem sehr wohnlich. Er hätte vermutet, dass die Indianer auf dem Boden schlafen, aber es stand dort eine Art Pritsche, die mit Fellen belegt war. Wilhelm setzte sich darauf und atmete erstmal tief durch. Es gab tausend Fragen, aber er war zu erschöpft, um sich jetzt mit diesen zu befassen. Er legte sich hin und schlief tief und fest ein.

Mia und Leon stiegen vor der Hütte von Flinker Biber von den Pferden. Eine starke Frau mit sehr gütigem Blick trat vor den Eingang. „Willkommen im Haus der Großen Bärin“, sagte sie mit sanfter Stimme. Die beiden erwiderten höflich den Gruß, aber Mia gähnte ganz laut hinterher: „Ich bin so müde.“ Sie konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Große Bärin zeigte ihnen zwei Pritschen mit Fellen. „Schlaft noch ein bisschen, bevor das große Fest beginnt.“ Die beiden legten sich hin und schliefen sofort ein.

Wilhelm schlief immer noch tief und fest. Er hörte nicht, dass jemand auf lautlosen Sohlen zu seinem Bett schlich. Eine Hand erhob sich und es blitzte etwas auf. Langsam ging die Hand auf Wilhelm nieder.