Viele vertraute Personen

Sie begaben sich in das große Fabrikgebäude. Es roch verführerisch nach Schokolade. Leon wünschte sich, dass Papa auch eine Schokoladenfabrik hätte. Dann könnte er jeden Tag soviel Schokolade essen, wie er wollte. Das war das Paradies auf Erden. „Ob es wirklich so ist?“, überlegte er. Wenn sich eine Möglichkeit ergab, musste er unbedingt Klößchen fragen.

Sie hatten ihr Ziel schnell erreicht. Durch eine dicke Eichentür betraten sie einen riesigen rechteckigen Raum. In der Mitte stand ein runder Tisch, der so groß war, dass locker 50zig Personen an ihm Platz fanden.  An der gegenüberliegenden Wand befand sich ein schmales Podium, auf dem ein Rednerpult stand. Dort sah Mia Kalle zusammen mit einem Jungen stehen. Sie unterhielten sich angeregt mit einem kleinen, runden Mann, der den schönsten Schnurrbart besaß, den Mia je gesehen hatte. Aber ihr Blick ging zurück zu Kalle. Er hatte sich kein bisschen verändert. Wenn sie sich nicht täuschte, trug er sogar dieselben Klamotten wie im letzten Jahr.

Wilhelm sah sich gemeinsam mit Leon im Raum um. Zu ihrer linken befand sich eine Fensterfront, die sich über die gesamte Längsseite zog. Das war also der Grund dafür, warum es so hell war. „Gut, dass es Dezember ist.“, dachte Wilhelm „Im Sommer möchte ich hier nicht sitzen müssen.“ Leon betrachtete schon die gegenüberliegende Längsseite. Dort hingen die Porträts aller Direktoren der Firma Sauerlich. Vom Gründer der Firma Eduard Sauerlich, Anfang des 19. Jahrhunderts bis hin zum jetzigen Direktor, Willis Vater. Unter den Porträts war über die gesamte Längsseite ein Buffet aufgebaut. Da merkte Leon, wie ihm der Magen knurrte. Seit dem Frühstück bei Großer Bärin hatten sie nichts mehr gegessen. Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor. „Wilhelm, denkst Du, dass wir uns was zum Essen nehmen dürfen?“ „Ich denke schon. Warum auch nicht? Frag doch einfach Klößchen.“ Gerade als Leon fragen wollte, kam ein schmaler, hochgewachsener Junge mit Brille auf Klößchen zu.

„Mensch, Willi, wo warst Du denn? Ich habe dich schon überall gesucht.“ „Immer mit der Ruhe…“, weiter kam Klößchen gar nicht, da Karl ihm sofort ins Wort fiel: „Immer mit der Ruhe! Du spinnst wohl. In einer viertel Stunde soll es losgehen und die Technik funktioniert nicht. Besser gesagt, der Beamer macht nicht, was er soll.“ „Das kann nicht sein. Mein Vater hat Herrn Augustin beauftragt alles bereitzustellen, und zwar funktionstüchtig!“ „Und wo finde ich diesen Herrn Augustin?“ „Na, in einem der 400 Räume, die sich hier im Gebäude befinden.“, Klößchen lachte laut über seinen Witz, aber er war auch der einzige. Karl wollte gerade Klößchen zurechtstutzen als ein älterer Herr mit Nickelbrille den Raum betrat. „Da ist er doch!“, sagte Klößchen und rief durch den gesamten Raum, „Herr Augustin, können Sie bitte mal herkommen!“ Herr Augustin kam gradewegs auf Klößchen und Karl zu. „Was kann ich für dich tun, Willi?“ „Für mich gar nichts im Moment, aber Karl ist ziemlich verzweifelt, weil der Beamer nicht funktioniert.“ „Ja ich weiß, das Kabel war defekt. Deswegen habe ich schnell noch ein neues geholt.“ Herr Augustin und Karl begaben sich in Richtung Technik. Als die beiden fort waren, konnte Leon endlich seine Frage loswerden

„Du Klößchen, wir haben seit dem Frühstück nichts mehr gegessen. Dürfen wir uns etwas vom Buffet nehmen?“ „Seit dem Frühstück nichts mehr gegessen? Das ist ja Folter. Die muss sofort beendet werden. Ein Wunder, dass ihr noch lebendig seid.“ Zusammen mit Klößchen, Dick und Wilhelm ging Leon zum Buffet und bediente sich reichlich.

Mia war nicht mitgegangen. Sie war damit beschäftigt, Kalle genau zu beobachten. Ein guter Detektiv wie Kalle konnte man nicht beobachten, ohne dass er es nicht merkte. Kalle blickte auf und schaute sich um. Da bemerkte er Mia und betrachtete sie eine Weile. Er konnte nicht sagen warum, aber das Mädchen erinnerte ihn an jemanden. Aus Kleinköping kam sie nicht! Doch woher kannte er sie dann? Sein Gehirn lief auf Hochtouren. In 10 Minuten sollte es losgehen, dass musste reichen, um herauszufinden, wer die Kleine war.

Kalle entschuldigte sich bei seinen Gesprächspartnern und kam rüber zu Mia. Sie wurde ganz nervös. Was sollte sie sagen? Sie durfte auf keinen Fall etwas von ihrem Treffen im letzten Jahr erzählen. Aber warum wurde sie das Gefühl nicht los, dass Kalle sie irgendwie erkannt hatte. „Hallo, ich bin Kalle“, stellte er sich vor. Mia, die eigentlich nicht schüchtern war, brachte kein Wort heraus. „Du hast mich beobachtet und ich bin mir sicher, dass wir uns kennen.“ Sie schüttelte heftig ihren Kopf: „Du musst mich verwechseln. Ich kenne dich nicht.“ Kalle war hartnäckig. So schnell gab er nicht auf. Derweil blickte sich Wilhelm suchend nach Mia um und sah, dass Kalle bei ihr stand. Er wurde kreidebleich: „Hoffentlich geht das gut! Mia darf jetzt keinen Fehler machen.“ Er stellte seinen Teller beiseite und beeilte sich zu Mia zu kommen. Kalle sah den alten Mann auf sie zukommen und wusste, dass er ihn kannte. Wer waren die beiden nur? „Manchmal war es einfach nur zur aus der Haut zu fahren.“, fluchte er leise vor sich hin.

Mia und Wilhelm wurden erlöst, denn in diesem Augenblick ertönte Tims Stimme im Raum: „Hallo allle zusammen, könntet ihr euch setzen. Wir wollen anfangen.“ Es war ein allgemeines Stühlerücken zu hören und etwas 30 Kinder und Jugendliche nahmen Platz. „Sollen wir uns auch setzen, Wilhelm?“ Bevor Wilhelm antworten konnte, rief Julian ihnen zu, dass sie sich zu ihnen setzen sollten. Leon saß bereits am Tisch zusammen mit Dick und Klößchen. Alle drei hatten vor sich einen überquellenden Teller stehen. „Man könnte meinen, dass sie Angst haben, nie wieder etwas zu essen zu bekommen.“, dachte Wilhelm und schüttelte den Kopf.

Als alle saßen, schaute sich Wilhelm um. Er meinte, einige zu erkennen. Das da vorne war mit Sicherheit Emil und neben ihm saß der kleine Sonntag. Wie hatte Wilhelm das Buch geliebt. Er hatte es von seinen Eltern zum 10. Geburtstag bekommen. Dieses Buch legte den Grundstein zu seiner Krimileidenschaft. Im Laufe der Jahre hatte er so einiges gelesen. Immer wieder waren auch Krimis dabei, die eigentlich für Kinder gedacht waren. Er hatte nie verstanden, warum Erwachsene es ablehnten Kinderbücher zu lesen. Die wussten gar nicht, was ihnen entging.

Plötzlich hörten alle ein krächzendes „Mach die Tür zu!“ „Entschuldigt bitte, dass war Kiki. Er ist manchmal etwas vorlaut.“ Kiki stellte sich als ein Papagei heraus, der auf der Schulter eines sommersprossigen Jungen saß, der sich als Jack vorstellte. „Ich habe noch nie einen sprechenden Papageien gesehen! Das ist unglaublich.“, staunte ein Mädchen. „Ich bin übrigens Kim. Und die zwei da gehören zu mir.“ „Wie originell.“, sagte einer der drei Jungs, die Kim gegenübersaßen. „Seid ihr etwa in Bob, Peter und mich verknallt? Oder warum sonst habt ihr uns so kopiert?“

Bevor die Situation eskalieren konnte fing Tim erneut an zu sprechen: „Könntet ihr das vielleicht später klären? Ich würde gerne weitermachen.“ Doch wieder wurde er unterbrochen. Diesmal hatte Anne laut aufgeschrien. Auf ihrem Kopf saß ein Eichhörnchen. Wo war das denn jetzt hergekommen. Wilhelm hatte so eine Ahnung, sagte aber nichts. Einige mussten laut lachen. Es war wirklich ein komisches Bild: Die zur Salzsäule erstarrte Anne mit dem Eichhörnchen auf ihrem Kopf. Jetzt kam ein Junge zu ihr und entschuldigte sie vielmals. Wilhelm hatte richtig vermutet und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen: „Das musste Kiki sein.“

Tim war alles andere als begeistert: „Gibt es noch irgendwelche Tiere, die auf sich aufmerksam machen wollen?“ Wie auf Kommando, fingen Oscar und Timmy an zu bellen. Jetzt gab es kein Halten mehr. Sie kringelten sich alle vor Lachen und einigen standen Tränen in den Augen. Gabi und George, beide mit hochroten Köpfen, beruhigten ihre Hunde. „Eigentlich dürfte es jetzt keine weiteren Tiere geben.“, dachte Wilhelm bei sich.

Er war beindruckt, wie viele Gruppen von Detektiven sich hier eingefunden hatten. Auch wenn es großartig war, verstand Wilhelm nicht, wie es möglich war. Wie konnten sich so viele Charaktere in einem Buch versammeln. Ein weiteres Rätsel. Tim nahm jetzt den dritten Anlauf, um alle zu begrüßen. „Also noch einmal. Ich freue mich sehr, dass heute so viele von euch kommen konnten. Es hatten sich noch mehr angemeldet, aber zum Teil mussten sie plötzlich verreisen und zum Teil sind sie unbekannter Weise verzogen.

Dies ist der Gründungskongress der Internationalen Vereinigung minderjähriger Detektive. Leider haben wir noch keine Abkürzung gefunden. Vorschläge werden gerne entgegengenommen. Ich sehe in dieser Runde drei neue Gesichter. Vielleicht könnt ihr euch kurz vorstellen.“ „Auch das noch. Uns bleibt aber auch nichts erspart!“, seufzte Wilhelm. Er gab sich einen Ruck und fing an sich und die Kinder vorzustellen. „Mein Name ist Wilhelm. Neben mir sitzt Mia und der Junge, der gerade seinen vierten Pfannkuchen verspeist ist, Leon.“ Kalle hatte aufgeschaut als Wilhelm seinen und Mias Namen genannt hatte. „Ja, ich kenne die beiden. Zu 100 Prozent und ich werde noch herausbekommen, woher!“ Derweilen fuhr Wilhelm fort: „Wir leben in Köln am Rhein und wollen gerne nach Hause. Dafür müssen wir ein Rätsel lösen. Bisher haben wir die Lösung aber nicht gefunden. Als wir dann euer Plakat gesehen haben und feststellten, dass Kalle Blomquist auch dabei ist, wussten wir, dass wir herkommen mussten. Ihr kennt uns nicht, aber wir kennen einige von euch. Es würde zu weit führen, wenn wir es euch erklären müssten. Wir bitten euch einfach um Hilfe.“ „Danke Wilhelm, ich denke, dass bekommen wir hin. Vorher müssen wir so einige Formalitäten erledigen.“ Ein Murren machte sich breit. Ein Rätsel zu lösen, schien um einiges spannender.

Tim versuchte wieder Ruhe in die Versammlung zu bringen, was ihm nach mehreren Anläufen auch gelang. Aber bevor wir anfangen zu arbeiten ist es mir eine große Freude unseren Ehrengast zu begrüßen. Für einige von uns ist er ein großes Vorbild“ Er wird einige Worte an uns richten.“ Der kleine, runde Mann erhob sich von seinem Stuhl, schritt zum Podium und stellte sich hinter das Rednerpult. Im Raum konnte man eine Stecknadel fallen hören. Alle Augenpaare richteten sich Erwartungsvoll auf diesen großartigen Detektiv.