Eine neue Stadt

Wo waren sie nur gelandet? Sie standen am Ufer eines großen Flusses mitten in einer großen Stadt.  Mia und Leon schauten sich erstaunt um. „Also ich glaube nicht, dass wir im Buch von Catweazle gelandet sind. Das scheint mir nicht eine Ortschaft in England zu sein, weder in der heutigen Zeit noch in irgendeiner vergangenen.“, bemerkte Mia. „Das bedeutet, dass Catweazle nicht derjenige ist, der unser Problem lösen kann. Trotzdem frage ich mich, warum wir ihm schon wieder begegnet sind. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass er noch eine Rolle spielen könnte.“, ergänzte Wilhelm.

„Wo sind wir hier?“, fragte Leon und schaute ihn mit großen Augen an. Stockholm war es nicht, dass kannte er. „Ist das der Rhein?“ Mia dachte, dass es wohl offensichtlich war, dass das nicht der Rhein war und dachte genervt, wieso Leon diese dämliche Frage stellte. „Nein, Leon. Das hier ist die Elbe und wie befinden uns in Hamburg.“ sagte Wilhelm. „Woher willst du das wissen? Hast du irgendwo ein Schild gesehen?“, fragte Leon ungehalten. „Nein, ich habe kein Schild gesehen und ich war auch noch nicht in Hamburg, aber es gibt mehrere Indizien, die dafürsprechen. “ Ind… was auch immer sind was?“ Leon riss langsam der Geduldsfaden. Seine Gefühlswelt immer noch so durcheinander und es nervte ihn, wenn Wilhelm so schlau daherredete. „Mein Fehler. Indizien bedeuten Anzeichen.“ Leon war der Meinung, dass Wilhelm das auch gleich hätte sagen können.

Ein erstes Anzeichen ist das Autokennzeichen. Seht ihr, die meisten Autokennzeichen der Autos, die wir hier sehen, beginnen mit HH und das steht für Hamburg.  „Aber Wilhelm,“, wandte Mia ein „man schreibt Hamburg doch nur mit einem H.“ „Da hast du recht. Wenn man korrekt sein will, dann bedeutet HH Hansestadt Hamburg.“, erklärte Wilhelm. „Und was bitte schön ist eine Hansestadt?“, kam prompt die nächste Frage, ebenfalls von Leon. Wilhelm fing an, geduldig an zu erklären: Die „Hanse war eine Zweckgemeinschaft der Kaufleute im Mittelalter. Aber worum es genau bei der Hanse geht, kann ich euch auch nicht erklären. Aber neben Hamburg gibt es noch einige andere Hansestädte in Deutschland, wie zum Beispiel Bremen, Lübeck und Rostock.“

Leon fragte weiter: „Wieso sind wir deiner Meinung nach in Hamburg? Wir könnten doch genauso in Bremen oder Lübeck sein.“ Jetzt wurde es Mia zu bunt. Sie fragte sich gerade, ob das viele spielen mit der Playstation sich nicht doch negativ auf Leons Denkvermögen ausgewirkt hatte. „Was für eine dämliche Frage? Leon, denk doch einfach mal nach, bevor Du den Mund aufmachst!“, polterte sie los. „Was soll das denn heißen?“ er ging in Angriffshaltung über.  Mia haute sich mit der Hand vor die Stirn:“ Die Kennzeichen haben H H. Verstehst zweimal ein H. Wie kann das dann Bremen oder Lübeck sein?“ „Echt jetzt, glaubst Du wirklich, dass ich mich mit den Autokennzeichen beschäftige. Die sind doch total uninteressant. Wenn ich ein Auto sehe, schaue ich auf die Marke oder Art des Autos. Wetten, dass ich viel mehr Automarken kenne als Du? Mädchen wissen einfach nicht, was wirklich von Bedeutung ist.“ So, jetzt hatte er es aber Mia gezeigt.

Wilhelm schaute die beiden kopfschüttelnd an und dachte, dass er es vielleicht falsch angefangen hatte. Daher startete er einen neuen Versuch zu beweisen, dass sie sich in Hamburg befanden. „Jetzt vergeßt mal das Autokennzeichen, obwohl es ein sehr guter Hinweis ist. Aber es gibt noch weitere Indizien dafür, dass ich richtig liege.“ „Jetzt bin ich aber gespannt, was nun kommt.“, kam es genervt von Leon. „Hört doch mal, wie die Sprache hier klingt.“ Kaum hatte Wilhelm es gesagt, da wusste er schon, dass dies nur ein äußerst schwaches Zeichen war. Schließlich sprachen nur noch wenige Hamburger Platt, das man aber in ganz Norddeutschland sprach. Sie als Rheinländer konnten die Unterschiede, die es teilweise von Dorf zu Dorf gab, nicht ausmachen. Zudem sprachen schon viele kein Platt mehr. Eigentlich ging es ihm auch gar nicht um den Dialekt, sondern um den Klang der Sprache. „Tut mir leid, aber ich glaube, dass war kein sehr guter Tipp.“ Doch Mia meinte, dass sich die Sprache schon anders anhörte als bei ihnen zu Hause in Köln.

„Wilhelm, ich glaube, dass Du gar nicht weißt, wo wir sind und nur geraten hast. Wir könnten doch genau so in Kleinköping sein. Da wüssten wir wenigstens, wer uns helfen könnte. Nämlich Kalle Blomquist, der Meisterdetektiv!“ „Ich fände es auch super Kalle wieder zu treffen. Aber wenn du mal deine Denkmaschine anwerfen würdest, wüsstest Du, dass wir gar nicht in Schweden sein können. Die Stadt hier ist viel zu groß. Der Fluss in Kleinköping gleicht eher einem Bach als einem Fluss und dann würden die Menschen um uns herum schwedisch sprechen.“, gab Mia altklug zum Besten.

Leon, den es wütend machte, wenn Mia so mit ihm sprach, erwiderte trotzig: „Ich weiß ja nicht, von welchem Kalle Du sprichst. Der Kalle, den ich meine, spricht perfekt deutsch. Übrings trifft das auf alle anderen zu, die man in Kleinköping trifft.“ Mia hielt es nicht mehr aus. Das konnte doch niemals ihr Bruder sein. Er musste im Krankenhaus vertauscht wurden sein.

Wilhelm mischte sich ein: „Leon, ich muss dich enttäuschen. Kalle werden wir hier nicht treffen. Ich weiß definitiv, dass wir in Hamburg sind. Schau dich mal um, überall sieht man Flaggen und Aufkleber vom HSV.“ „Das ist kein Beweis! Mein Freund Christian wohnt in Köln, hat aber in seinem Zimmer nur Sachen vom SC Freiburg. Und Bennos Vater hat an seinem Kölner Auto einen Aufkleber von Borussia Dortmund. Außerdem ist St. Pauli viel besser.“ „Stopp Leon! Es reicht. Was ist nur los mit dir. Du bist unausstehlich.“ Wilhelm wurde langsam echt sauer. Er verstand Leon nicht. Was für ein Problem hatte der Junge?

„Also gut, Leon ein letzter Versuch! Danach wirst Du einfach akzeptieren müssen, dass wir in Hamburg sind und nirgendwo sonst.“ „Ich höre!“ Wilhelm deutete in eine bestimmte Richtung und die beiden Kinder schauten dorthin. In einiger Entfernung sah man ein abenteuerlich aussehendes Gebäude stehen. Selbst Leon konnte seine Bewunderung für diesen Bau nicht verbergen. Das Gebäude war zweigeteilt. Der untere Teil sah aus wie ein Haus aus rotem Backstein und darauf stand ein Glaspalast.

„Wilhelm, was ist das für ein Gebäude?“ „Das Mia, ist die Elbphilharmonie. Sie gibt es noch nicht lange. Heute gehört sie zu den wichtigsten Attraktionen von Hamburg. Es gibt dort ein Hotel, Wohnungen und Konzertsäle. „Was ist eine Philharmonie?“, wollte Leon wissen. „Hm, das kann ich dir jetzt auch nicht genau sagen. Aber es kommt auf meine Liste der Dinge, die ich zu Hause nachschlagen will. Ich kann dir nur sagen, dass dort in der Regel richtige Musik gespielt wird.“ „Wieso richtige Musik? Gibt es etwas auch falsche Musik?“ „Natürlich nicht Leon. Jede Art von Musik ist richtig. Aber jeder hat eine eigene Meinung davon, was man unter richtiger Musik versteht. So ist für mich die klassische Musik die einzig wahre Musik.“ Sehnsüchtig blickte Wilhelm zur Elbphilharmonie hinüber: „Der Klang in den Konzertsälen soll grandios sein. Was würde ich dafür geben, wenn ich einmal Beethovens „Neunte Sinfonie“ dort hören könnte!“

„Was hat denn der Hund mit klassischer Musik zu tun.“, fragte Leon erstaunt. Jetzt stand Wilhelm auf dem Schlauch. Wie kam Leon denn jetzt auf einen Hund? Mia blickte in die zwei verwirrten Gesichter und bekam einen Lachanfall. Leon und Wilhelm hatten total aneinander vorbei vorbeigeredet. Als sie sich wieder etwas gefangen hatte, fing Mia an das Missverständnis aufzuklären: „Weißt Du, Wilhelm, es gibt einen lustigen Film. Die Hauptrolle spielt ein Hund und der heißt Beethoven. Den wirst Du bestimmt nicht gemeint haben.“ Jetzt musste Wilhelm auch laut lachen. Sein Lachen war so ansteckend, dass schließlich alle drei lachten. Immer noch glucksend erklärte Wilhelm ihnen, dass Beethoven ein bedeutender Komponist der klassischen Musik war. „Beethoven wurde vor ziemlich genau 250 Jahren in der Nähe von Köln geboren. Um genau zu sein in Bonn. Ich liebe seine Musik. Was mich am meisten beeindruckt ist die Tatsache, dass er ertaubte und trotzdem weiter Musik schrieb.“ „Kannst Du uns die 9. Sinfonie mal vorspielen, wenn wir wieder zu Hause sind?“ „Ja, das mache ich gerne. Fest versprochen Leon!“

Nach all diesem hin und her waren sie bei der eigentlichen Frage angelangt und konnten dieser auch nicht mehr ausweichen. Warum waren sie in Hamburg? Wer war es, der ihnen helfen sollte? Wie sollten sie ihn oder sie erkennen? Wieder mal standen sie vor einem Berg von Fragen. Doch die Antworten kannten sie nicht. Alle drei schauten sich um, ob sie irgendwo jemanden sehen würden, der ihnen vielleicht die Antworten geben konnte.

Auf der anderen Straßenseite stand eine uralte Litfaßsäule. Mia konnte nicht sagen warum, aber sie wusste ganz genau, dass sie dort rüber gehen mussten. „Kommt ihr beiden. Ich bin mir sicher, dass wir dort eine erste Antwort finden werden.“ Da Leon und Wilhelm keine bessere Idee hatten, folgten sie ihr über die Straße zu der Litfaßsäule. Langsam fingen sie an um die Litfaßsäule herum zu gehen.

Als sie etwa um die halbe Litfaßsäule hinter sich hatten, stoppte Mia abrupt. Leon, der so konzentriert war, stieß mit ihr zusammen. Nur mit Mühe konnten sich die zwei auf den Beinen halten. „Was soll das? Hättest Du nicht was sagen können?“ Mia reagierte gar nicht, sondern sie fixierte ein Plakat, dass ziemlich weit oben hing. Sie hatte nur angehalten, weil ihr ein Name ins Auge stach. „Wilhelm, kannst Du lesen was auf dem Plakat steht? Da steht der Name von Kalle.“ „Welchem Kalle?“ „Na, Kalle Blomquist.“ Jetzt schaute sich Wilhelm das Plakat auch genau an. Sollte etwa dieses Plakat die Hilfe sein? Bitte nicht schon wieder ein Rätsel!“, seufzte Wilhelm. Langsam fing er an zu lesen:

„Einladung zum Gründungskongress der Internationalen Vereinigung minderjähriger Detektive.

Ort: Kongressraum der Schokoladenfabrik Sauerlich, Hamburg

Datum: 14.12.2020

Zeit: ab 10:00

Ende: offen

Ehrenredner: Der ehrenwerte Monsieur Hercule Poirot

Im Namen des Organisationskomitee: Kalle Blomquist, Tim Carstens“

Kinder, das ist die Hilfe, die wir brauchen. Wenn uns jemand helfen kann, dann diese Detektive.“, sagte Wilhelm ganz aufgeregt. Mia tanzte und hüpfte vor Freude. Jetzt würde alles gut werden. Leon machte einfach mit. Er hatte zwar keine Ahnung, wer diese minderjährigen Detektive waren, aber deswegen musste er ja nicht auf das Tanzen verzichten. Tanzender Waschbär war immer noch ein Teil von ihm.

„Wilhelm, wie sollen wir dahin kommen?“, wollte Mia wissen. „Mia, wünsch dir mal Geld von deinem Rucksack. Wir nehmen ein Taxi.“ Mia wünschte sich Geld und hielt einen Moment ein paar Scheine in der Hand. Wilhelm winkte das erste Taxi, was sie sahen, zu ihnen heran. Die Kinder sprangen hinten in den Wagen und Wilhelm setzte sich nach vorne zum Fahrer. „Bitte bringen sie uns zur Schokoladenfabrik Sauerlich!“ Der Fahrer nickte und los ging es.